39 – So toll gemacht, aber eigentlich nicht gelungen
Als ich davon erfuhr (natürlich via Facebook), war ich ganz gespannt: ein interaktives Hörspiel-Game vom WDR als App. Wie schön! Sofort habe ich mir die App heruntergeladen, um mir »39« … – ja, was eigentlich? Anzuhören? Anzusehen? Durchzuspielen? – Naja, was auch immer halt, das würde ich dann ja schon noch erfahren…
Der Start: Schön und dunkel und einiges zu Lernen
Auf der Startseite der App befindet man sich zunächst in einem schwarz-weißen Raum. Der ist sehr hübsch und sehr dunkel. Dort kann man allerdings nicht sofort loslegen, sondern muss erst einmal einiges erklärt bekommen: Was man alles tun kann, wie man es tun kann, warum man es tun soll und wann. Das bremst die Euphorie schon zu Beginn ein wenig. Vor allem, da ich es nicht schaffte, alle Funktionsmöglichkeiten gleich richtig zu bedienen. Also brauchte es an vielen Stellen mehrere Anläufe und Versuche. Das dauerte…
Das Hör- vom Spiel
Dann beginnt das Hörspiel. Es ist ein Krimi. Ich liebe Krimis. Er ist verworren, spannend, undurchschaubar. Die Stimmen sind gut gewählt, die Dramaturgie stimmt, die Erzählweise fesselt. Aber: Man kann leicht den Faden verlieren. Lange Pausen oder Hörunterbrechungen sind schwierig, weil man dann nicht mehr weiß, worum es ging. Dummerweise ist mir das passiert. Ich konnte das Hörspiel beim ersten Mal nicht zu Ende hören und wollte einige Tage später weitermachen. Ich war völlig raus und habe mich nicht mehr zurechtgefunden. Also fing ich von vorne an. Inklusive Tutorial. Das kann man nämlich leider nicht überspringen (oder ich habe die Funktion nicht gefunden).
Aber: Der WDR kann Krimis im Audioformat produzieren. Und wie!
Das Spiel
Nun ist das Hörspiel ja ein Hör-Spiel. Das heißt, man hört nicht nur, sondern erspielt sich den Fortgang der Geschichte – ganz im Sinne eines transmedialen Storytelling. Was der WDR in Sachen »Hören« kann, das fehlt ihm leider sehr deutlich in Sachen »Spielen«. Denn das Spiel folgt keiner sinnvollen Systematik. Man hat keine Herausforderungen oder Aufgaben und es gibt hierbei keinerlei Spannungsbogen. Die Aufgaben haben einzig die Funktion, den nächsten Audioabschnitt zu starten. Das bedeutet, man sucht die ganze Zeit nach dem Startpunkt für die nächstfolgende Audiodatei. Das erzeugte bei mir die Wirkung eines schlecht funktionierenden Abspielgerätes, das ständig stehen bleibt und wieder ans Laufen gebracht werden muss. Zwar sind die Grafiken sehr nett gemacht, aber was soll das? Ich jedenfalls hätte auf dieses Spiel gut verzichten können.
Das Spiel – Bringt nichts
Die Usability
Um im Hörspiel-Verlauf weiterzukommen, muss man in der Regel nicht einmal auf irgendeinen Button drücken, sondern mehrfach wischen, drehen, ziehen, schieben und so weiter. Das klappt bei meinem Apple-Touchscreen durchaus nicht immer, und so war ich von der Bedienung irgendwann extrem genervt.
Es gibt außerdem keine Möglichkeit »vorzuspulen« oder Dinge zu überspringen. Allerdings kann man über eine Szenenauswahl zurückgehen. Diese ist wie eine Karte gestaltet und sehr übersichtlich. Der Weg führt aber nur zurück.
Insgesamt ist die Usability also weder mit meiner Feinmotorik, noch mit meiner Geduld kompatibel.
Die Nutzungssituation
Regelrecht unangenehm fand ich die Nutzungssituation, die »39« erzwingt: Ich kann das Hörspiel nicht – wie üblich – nebenbei hören, da ich alle paar Minuten aktiv das Smartphone bedienen muss. Umgekehrt ist es mir aber auch überhaupt nicht gelungen, mich nur mit dem Smartphone und Kopfhörern in der Hand hinzusetzen, da meist über längere Zeit nichts passiert und man auf eine starre Grafik schaut. Also hängt man zwischen nebenbei und mittendrin und fühlt sich dabei schlicht unwohl.
Das habe ich persönlich als so störend erlebt, dass ich versucht habe, verschiedene Tätigkeiten mit der Nutzung zu koppeln. Nachdem dies aber jedesmal scheiterte, aber ich beim ersten Mal irgendwann abgebrochen. Und konnte – wie beschrieben – dann den Anschluss nicht wiederfinden..
Ganz furchtbar also: Eine Nutzungssituation zwischen den Stühlen
Fazit
»39« ist für mich – wie viele andere transmediale Formate auch – ein sehr interessantes Experiment, aber in keiner Weise alltagstauglich und auch nicht sonderlich nutzerfreundlich. Sicher: Transmediales Storytelling steht erst am Anfang. Vieles wird mit der Zeit besser umgesetzt werden. Aber: Ein Hörspiel ist ein Hörspiel ist ein Hörspiel. Und es hat so seinen besonderen Charme. Gerade in der Möglichkeit der Nebenbeinutzung. Und in der Möglichkeit der extremen Passivnutzung. Beides geht verloren, wenn es interaktiv wird. Umgekehrt: Ein Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel. Und hat einen ganz anderen Charme: Die Möglichkeit der aktiven Beteiligung, die Einbindung des Nutzers. Es ist die Frage, ob ein Hybrid zwischen beiden Erzählformen überhaupt gelingen kann. Ich persönlich bin da skeptisch.
P. S. Andere sehen es allerdings durchaus anders.
39 – WDR HörSpiel: Interaktiver Thriller
Sabine Haas
Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".
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[…] Für mich zeigen diese Überlegungen, dass transmediales Storytelling in keinem Fall ein Instrument des Contentmarketing sein kann. Transmediales Storytelling ist ein artifizieller, hochgradig künstlerischer Ansatz. Es ist ein spannendes Experiment, dass die Möglichkeiten und Grenzen multimedialer Vernetztheit ausleuchtet. Für alltagstauglich halte ich transmediales Storytelling nicht. […]
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