Depot Boijmans Van Beuningen Rotterdam – ein Blick hinter die Kulissen eines Museums
Mit Social Media und der damit verbundenen Demokratisierung des digitalen Dialogs hat sich die Haltung unserer Gesellschaft grundlegend verändert. Politiker*innen, Unternehmen, Institutionen und Medien können es sich nicht mehr leisten, eine „Verlautbarungskommunikation“ zu praktizieren. Es besteht die Erwartung, dass sie transparent, auf Augenhöhe und direkt in den Austausch mit ihrer jeweiligen Zielgruppe treten.
Das betrifft auch Museen: Auch sie beginnen mehr und mehr damit, ihr Publikum nicht nur als passive Ausstellungsbesucher zu sehen, sondern sie darüber hinaus in ihre Arbeit einzubinden. So versucht beispielsweise die Plattform nextmuseum.io Kurationsprozesse für eine breite Öffentlichkeit zu öffnen.
Eine andere Idee der Museumsöffnung verfolgt das Boijmans Van Beuningen in Rotterdam. Es hat sich der Fragestellung angenommen, wie die umfangreichen Depots, in welchen in der Regel der größte Teil der Museumssammlung unzugänglich lagert, für das Publikum transparent und sichtbar gemacht werden können. Ein sehr spannender Trend, mit dem sich inzwischen verschiedene Museen befassen und der in Rotterdam in vorbildlicher Weise umgesetzt ist.
Eine einzigartige Idee schafft Einblicke in die Arbeit hinter die Kulissen
Das Boijmans Van Beuningen ist Rotterdams größtes Museum mit einem Bestand von mehr als 150.000 Exponaten und vielen Kunstwerken der großen alten Meister wie Hubert und Jan van Eyck, Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel, Tizian, Veronese, Rubens, Van Gogh. Das Gebäude, in dem das Museum untergebracht ist, wird derzeit renoviert und ist daher für längere Zeit geschlossen.
Aus dieser „Not“ heraus entstand der Gedanke, das im Keller gelagerte Depot auf eine ganz und gar neue Weise zu inszenieren: In einem futuristisch anmutenden Gebäude direkt neben dem „alten“ Museumsgebäude gibt das Boijmans Depot als erstes Museum weltweit Einsicht in die Arbeit, die bislang hinter den Kulissen verlief.
Ehrlich gesagt war ich etwas skeptisch, als ich die Einladung einer Freundin für den Besuch des Depots erhielt: Ist das denn spannend, sich Lagerflächen anzuschauen? Kann man da viel sehen? Ich wurde positiv überrascht und bin beeindruckt, wie spannend ein Blick in die sonst verborgenen Arbeiten eines Museums sein kann.
Mehr als ein Highlight erwartet die Besucherinnen und Besucher
Das erste Highlight gab es schon vor unserem Eintritt in das Gebäude: Das Depot erinnert an eine große, silberfarbene Salatschüssel. Die gesamte Umgebung spiegelt sich in ihr, und die gebogenen Außenwände sorgen für faszinierende Reflexionen. Der Eingang ist konstruiert wie riesige Flugzeug-Türen, die sich zur Seite hin aufschieben lassen. Ein imposanter Bau in der architektonisch insgesamt sehr vielseitigen und spannenden Stadt Rotterdam.
Das Thema Licht und Spiegelung zieht sich durch das gesamte Gebäude. Auch innen erscheint alles in vielfacher Reflexion, weil Wände und Böden des Treppenhauses zu einem großen Teil aus doppeltem Glas bestehen, zwischen dem Exponate ausgestellt sind. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig und im ersten Eindruck sehr verwirrend, macht aber mehr und mehr Spaß, je länger man sich im Gebäude aufhält, denn es gibt entlang der Laufwege eine Menge zu entdecken.
Die eigentlichen Lagerräume ziehen sich entlang der Flure über insgesamt sechs Etagen und umfassen fünf verschiedene „Klimazonen“. Während ich ganz naiv bislang angenommen hatte, Kunst würde möglicherweise nach ihrem Alter oder dem Namen der Künstler sortiert, ist die Realität eine andere: Um die Lagerbedingungen jeweils zu optimieren, steht bei der Strukturierung im Depot das Material im Vordergrund. So gibt es Räume für „anorganische Materialien“ oder „Papier“, für „hängende Kunst“ oder „Mischmaterialen“. Dieses System macht sehr viel Sinn, weil die entsprechenden Klimabedingungen pro Raum angepasst werden können.
Digital und analog zu informieren ist Teil des Gesamtkonzept
Als Besuchende erhält man sowohl analog als auch digital Einblick in die verschiedenen Räume. Durch große Schaufenster kann man jeweils in die vorderen Regalreihen blicken. Dort sieht man nicht nur spannende Exponate, sondern lernt auch etwas über die komplizierte Thematik der Verpackung von Kunstobjekten. Wer zudem etwas über die Schätze in den hinteren Regalreihen der riesigen Lagerräume wissen möchte, kann mittels QR-Code in der kostenfreien Depot-App nachschauen und findet dort tausende der Objekte beschrieben. Zusätzlich gibt es bei einigen Räumen Screens, die über diverse Eckdaten wie z. B. die Größe der Exponate oder Ähnliches informieren.
Statt klassischer Ausstellung oder Inszenierung steht die Arbeitspraxis im Fokus
Wer erwartet, eine systematische Führung durch verschiedene Kunstgattungen oder Künstler zu bekommen, wird enttäuscht. Da die Kunst in den Regalen lagert, ist sie weder in irgendeiner Weise inszeniert, noch beschriftet. Auch die Kunst, die in Wänden, Decken oder Böden zwischen Glas ausgestellt ist, hat keine Beschriftung. Das ist für mich zunächst ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Aber sehr schnell wird das Interesse umgelenkt auf Fragen rund um das Thema Sammeln, Bewahren und Restaurieren.
So ist es für mich beispielsweise ein Highlight, Einblick in die verschiedenen Restaurationswerkstätten zu erhalten. Auch sie sind verglast, sodass man sehen kann, in welcher Art und Weise und mit welchen Geräten die Restaurierung von Holz, Gemälden oder Glas erfolgt – eine ganz besondere Handwerkskunst, die man üblicherweise nicht zu Gesicht bekommt.
Doch auch die klassische Ausstellung bleibt nicht komplett auf der Strecke. In zwei oder drei Räumen werden Kunstobjekte in vertrauter Art und Weise präsentiert, u. a. die Gemälde-Highlights der Sammlung Boijmans Van Beuningen. Es werden hier tatsächlich nur rund ein Duzend Bilder gezeigt, luftig und frei hängend im Raum, sodass man sie in nächster Nähe sowohl von vorne als auch von hinten besichtigen kann.
Nach ca. 1,5 Stunden sind wir mit dem Rundgang durch die verschiedenen Etagen fertig und kommen auf die mit Birken bepflanzte Dachterrasse der „Salatschüssel“. Dort hat man zum Abschluss noch eine wunderbare Sicht über Rotterdam.
Ein innovatives Konzept, das erste Nachahmer findet
Alles in allem ist das Depot Boijmans Van Beuningen eine gelungene Innovation, die schon jetzt einige Nachahmer findet. Transparenz und Storytelling – das sind für mich die Stichworte, die mir im Blick auf diese neue „Erzählform“ einfallen. Eine sehr positive Entwicklung, wenn man bedenkt, dass bei fast allen Museen ein Großteil der Exponate hinter verschlossenen Türen lagert und dort für niemanden sichtbar ist.
Sabine Haas
Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".
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