»Der Konsul«: Ein musikalisches Drama der 50er-Jahre als Spiegel zur Gegenwart
Am Wochenende war ich sehr spontan zu Besuch im Theater Krefeld Mönchengladbach zur dortigen Premiere des musikalischen Dramas »Der Konsul«. Hingefahren bin ich, weil ich in Lyon von einem Opern-Journalisten den Tipp bekommen hatte, mir dort unbedingt eine Oper anzuschauen. Er kommentierte das mit den Worten: »Wenn man irgendwo in NRW hingehen sollte, dann nach Mönchengladbach.« Das hat mich überrascht. Mönchengladbach hatte ich als Opern-Spielort gar nicht auf der Agenda. Für »Der Konsul« habe ich mich interessiert, weil diese Oper ein sehr selten auf die Bühne gebrachtes Werk aus den 1950er-Jahren ist. Sie wurde von Carlo Menotti in Philadelphia komponiert und feierte damals am Broadway sensationelle Erfolge. Mönchengladbach führte »Der Konsul« nur wenige Monate nach der Premiere auf, wie mir die Pressesprecherin Sabine Mund erzählte. Jetzt hat man sich zu einer zweiten Inszenierung entschlossen.
»Als wir entschieden haben, die Oper auf die Bühne zu bringen, war uns nicht klar, wie aktuell das Thema noch werden würde«, so die Dramaturgin Ulrike Aistleitner. Tatsächlich ist dieser Gegenwartsbezug das Faszinierende: Die Oper behandelt brandaktuelle Themen, die damals genauso brisant waren wie heute. Inhaltlich geht es um Menschen, denen die Einreise in ein Land verwehrt wird. Formal spiel Menotti mit dem Thema »Neue Medien« (damals Radio und Telefon) und deren Wirkungslosigkeit für das Schicksal des Einzelnen. Letzteres ist interessant, denn zu dieser Zeit verhalf unter anderem das Radio seiner Oper zum Erfolg.
Menotti selbst war Amerikaner mit italienischen Wurzeln und interessierte sich sehr für das Schicksal der Einwanderer. Die Menschen, die ihm im Laufe seiner Reisen und in Zeitungsberichten begegneten, flossen in die Oper ein. Die zentrale Figur ist die Person Magda Sorel. Ihr Leidensweg steht »in Großaufnahme« im Fokus der Oper. Sie ist die Ehefrau eines politischen Aktivisten, der sich vor der Geheimpolizei verstecken muss. Mit Mutter und Kind möchte sie nach Amerika fliehen. Aber das Sekretariat des Konsuls wehrt sie wieder und wieder ab. Sie bleibt stecken in den Mühlen der Bürokratie und tritt auf der Stelle. (Hier fühlt man sich stark an Kafka erinnert.) Ihr Kind erkrankt und stirbt, ebenso die Mutter. Am Ende wählt sie selbst den Freitod. Dies geschieht gerade da, als die Sekretärin des Konsuls sie anrufen und ihr eine Nachricht überbringen möchte, die ihr Leben retten würde. Sie verpasst das schrill klingelnde Telefon zweimal um wenige Sekunden.
Es ist faszinierend, wie die in der Oper geschilderte Situation von einst der heutigen ähnelt: Neue Medien und technologische Errungenschaften schaffen Wohlstand und Luxus in allen Schichten der USA. Gleichzeitig kämpfen Menschen in vielen Ländern der Erde gegen Diktatur, Krieg und Entbehrung. Sie alle versuchen, ihr Schicksal transparent zu machen und Einlass zu erhalten. Sie stoßen auf geschlossene Grenzen. Menschen werden als Nummern behandelt und in Akten auf unbestimmte Zeit »gelagert«. Ihre Geschichten sind Einzelfälle und individuell. In den Medien aber gehen sie als »Massenphänomen« unter.
Musikalisch ist Menottis Werk äußerst zugänglich und zeitlos. Etwas gewöhnungsbedürftig dagegen ist das Libretto (der Text) sowie die Mischung aus klassischen Opern-Elementen, Theater und Hörspiel-Bausteinen.
Wenig gefallen hat mir ehrlich gesagt die Inszenierung des Werkes. Obwohl mich die Oper sehr fasziniert hat, konnte sie bei mir in der konkreten Aufführung kaum Wirkung erzielen. Bühnenbild, Gesang und Spiel kamen mir hölzern vor, das gezeigte Geschehen packte mich nicht. Obgleich die Oper »zeitlos« umgesetzt sein sollte, wirkte sie auf mich »angestaubt« und zu sehr in den 50er-Jahren verhaftet. Einzig das Orchester hat mich begeistert.
Aber vielleicht fahrt Ihr am besten selbst hin und macht Euch ein eigenes Bild. Das Werk gibt auf jeden Fall viel Stoff zum Nachdenken. Ich glaube, dass wir viel häufiger »nach hinten« in die Geschichte schauen sollten, um das Heute zu verstehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Copyright Bilder: Theater Krefeld Mönchengladbach
Sabine Haas
Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".
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