»Die tote Stadt«: Gelungene Unterhaltung, schwer und eingängig zugleich
Die Oper Wuppertal war bisher ein weißer Fleck auf meiner Opernlandkarte. Das wollte ich am Wochenende ändern. Gemeinsam mit einer Freundin besuchten wir die Premiere zu »Die tote Stadt« von Erich Wolfgang Korngold. Wie der Titel schon vermuten lässt, war es keine leichte Kost, die wir uns da ausgesucht hatten. Aber ein gelungener Abend war es in jedem Fall.
Schon die Werkseinführung, die wir uns angeschaut haben, hat uns sehr gefallen. Sie hat perfekt auf den Abend eingestimmt. Chefdramaturg David Greiner erzählte etwas zur Person Korngolds, dem »Wunderkind«, das 1920 mit »Die tote Stadt« im Alter von 23 Jahren schon seinen dritten »Hit« landete. Der junge Wiener Komponist, der zwischen den verschiedensten musikalischen Strömungen im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts aufwuchs, entschied sich für eine tonale, sehr eingängige und relativ »bombastische« Musik. Damit bediente er den Mehrheitsgeschmack seiner Zeit. Auch das Thema, das uns heute für eine Oper doch sehr düster und melancholisch erscheint, traf anscheinend damals den Nerv: Kurz nach dem ersten Weltkrieg ist das Thema Tod und Trauer überall präsent, es beschäftigt das Publikum.
Die Geschichte der Oper ist schnell zusammengefasst: In der düster und trüb wirkenden Stadt Brügge (der »toten Stadt«) stürzt Paul nach dem Tod seiner geliebten Ehefrau Maria in große Trauer. Er vergräbt sich in seiner Wohnung oder wandert ziellos zwischen den Lieblingsorten seiner Frau in der Stadt umher. Irgendwann begegnet er Marietta, die seiner Maria äußerlich extrem ähnlich sieht, aber als lebenslustige Tänzerin einen deutlich anderen Charakter hat. Die Doppelgängerin und die Verstorbene verschwimmen für Paul immer mehr zu einer Person. Er verfällt Marietta, ist aber zugleich abgestoßen, weil es nicht seine geliebte Frau ist und Marietta ihm untreu wird. Am Ende tötet er Marietta und wird danach gewahr, dass ihr Erscheinen nur ein fürchterlicher Traum war.
In Wuppertal wird die Erzählung, die auf dem Roman »Das tote Brügge« des belgischen Autors Georges Rodenbach basiert, vom Regie-Team Immo Karaman und Fabian Posca in Szene gesetzt. Sie interpretieren Korngolds Oper als eine Art Psychogramm, eine pathologische Extremsituation der Trauer. Die Figuren Marie und Marietta werden beide von einer Darstellerin ins Bild gesetzt, alle Szenen wirken irreal und überzeichnet, sodass von Beginn an eine surreale Atmosphäre herrscht, die das Traumgeschehen passend übersetzt.
Die Inszenierung des Stücks ist überaus gelungen und stimmig. Alle Passagen, in denen Paul allein oder mit seiner verstorbenen Marie auftritt, sind in der Farbe grau gehalten. »Mariettas Welt« dagegen ist farbenfroh und bunt.
Das Bühnenbild ist gut durchdacht und wirkungsvoll, obwohl eher schlicht: Zu Beginn wird ein grauer, nur mit einem Stuhl möblierter Raum gezeigt. In der Rückwand des Raumes befindet sich eine Metalltür, wie man es aus der Gerichtsmedizin kennt. Sie ist geöffnet und heraus ragt Marias Leichnam auf einer Bahre. Dieser Raum stellt Pauls Wohnung dar. Mit grauen Vorhängen, die auf zwei Ebenen verlaufen, wird das Bühnenbild während des Geschehens immer wieder teilweise verborgen, um dann mit neuen Szenenbildern erneut sichtbar zu werden. Das hat eine tolle Wirkung und sorgt für viel optische Abwechslung und eine ständige Veränderung der Szenerie.
Im zweiten Bild verschwindet dann die Rückwand des Raumes und gibt den Blick in den hinteren Teil der Bühne frei. Man sieht ein Autowrack, um das herum Personen am Boden liegen. Es ist eine Anspielung auf das Tanztheater, in dem Mariella gerade spielt und das sich ebenfalls mit dem Tod befasst. Auch diese Bühnengestaltung ist gut gewählt und hat eine sehr intensive Wirkung.
Das dritte Bild kehrt schließlich wieder in den ersten Raum zurück, der jetzt tatsächlich einen Leichenraum im Krankenhaus darstellen soll. Der Traum endet hier.
Ähnlich gelungen wie die Bühnengestaltung ist die Besetzung. Die zwei Hauptprotagonisten, die eine enorme Leistung zeigen müssen, da sie fast die gesamte Zeit auf der Bühne verbleiben, sind ihren Rollen glänzend gewachsen und überzeugen gesanglich ebenso wie darstellerisch. Es sind dies der Tenor Jason Wickson als Paul, der am Premiere-Abend sein Deutschland-Debut gibt, und die Sopranistin Susanne Serfling als Maria/Marietta, die an der Oper Wuppertal debütiert. Stimmlich für meine Laien-Ohren ebenfalls herausragend ist Simon Stricker als Frank/Fritz. Den größten Applaus allerdings erhielt das Orchester unter der Leitung von Johannes Pell. Ihm wurden für die virtuose Umsetzung der anspruchsvollen Musik Standing Ovations zuteil.
Entsprechend der Grundstimmung der Geschichte ist die gesamte Oper sehr düster und bedrückend. Das Tempo ist gedrosselt und die Rezeption der mehr als zweistündigen Aufführung fällt trotz gelungener Umsetzung nicht leicht. Während der gesamten Oper herrscht musikalisch eine getragene Stimmung, nichts ist leichtfüßig, alles wirkt schwer und langsam.
Dennoch sind Musik, Sängerpartien und Texte von Beginn an eingängig und emotional ansprechend. Gerade der Orchesterpart zieht das Publikum sofort in den Bann. Viele Passagen im Gesang und im Instrumentalpart erinnern an Filmmusik. Dies ist kein Zufall, denn Korngold emigrierte in den 30er-Jahren in die USA und begründete dort in Hollywood die Filmmusik, die wir heute kennen. Das Muster ist also vertraut, die Musik funktioniert heute so gut wie damals.
Es ist schon ein seltsames Opernerlebnis: Auf der einen Seite die Schwere und Getragenheit des Themas, auf der anderen Seite die Leichtgängigkeit von Musik und Inszenierung, die sich dem Publikum sofort erschließen. Dies erzeugte eine eigenartige Widersprüchlichkeit, die den Abend besonders interessant erscheinen lässt. Ich kann einen Besuch der Aufführung nur empfehlen.
Eine kleine kritische Anmerkung jenseits der eigentlichen Premiere muss ich allerdings noch machen. Das wunderschöne Opernhaus aus den 50er-Jahren ist wirklich imposant, vor allem die Treppenhäuser sind großartig. Die Bestuhlung erinnert vom Platzangebot allerdings an eine Reise mit einer Billig-Fluglinie: Es ist (zumindest hinten im Parkett) unangenehm eng und entsprechend nicht sehr gemütlich für einen längeren Opernabend. Ein Handicap, mit dem so manches ältere Operngebäude zu kämpfen hat.
Weitere Termine:
- So. 30. Juni 2019 18.00 Uhr
- Fr. 12. Juli 2019 19.30 Uhr (Zum letzten Mal!)
Bild: Copyright Oper Wuppertal. Fotograf: Wil van Iersel
Sabine Haas
Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".
Weitere Beiträge