Digitalisierung und Oper – Interview mit Heide Koch von der Oper am Rhein

In der vergangenen Woche durfte ich ein Interview mit der Leiterin Marketing/Kommunikation der Oper am Rhein, Heide Koch, führen. Sie erzählte mir, wie digitale Medien die Oper bereichern und wie zugleich die wachsende Anzahl der Kommunikationskanäle das Theatermarketing vor neue Herausforderungen stellt. 

»Wir müssen der Kunst folgen.« – Dieses Credo stand am Anfang der Ausführungen von Heide Koch. Anders als im klassischen Produktmarketing dürfe und wolle Oper ihre Produktionen nicht am Geschmack des Publikums ausrichten. »Die Kunst muss unabhängig bleiben«, das sei essenziell. Obwohl man diese Position sicher auch etwas ausdifferenzieren kann, ist sie im Kern natürlich richtig: Nicht alles, was auf die Bühne kommt, muss gefallen.

Entsprechend dieses Standpunktes gab es, so die quirlige Marketingleiterin, über Jahre in den meisten Opernhäusern kein professionelles Marketing. Erst seit rund 20 Jahren habe sich dieser Bereich nach und nach etabliert. »Theaterleute wollten früher nicht, dass ihre Kunst ‚vermarktet‘ und wie ein kommerzielles Produkt beworben wird. Bis heute ist eine der wichtigsten Säulen unserer Arbeit die Kommunikation, nach außen und nach innen«, so Koch.

Immer wieder aufs Neue ist die Oper gefordert, sich dem Dialog mit ihrem Publikum zu stellen und Beziehungen zu den Kunden – besser: Gästen – zu erarbeiten. Die Digitalisierung ermöglicht es, in vielerlei Form und auf verschiedensten Wegen mit verschiedensten Zielgruppen in Kontakt zu treten. Das ist neu. Es ist grundsätzlich anders als früher, wo es nur den üblichen Kreis an Kritikern gab, zu denen man Beziehungen pflegen musste.

Für die erfahrene Marketingleiterin ist dieses weite Feld an neuen Möglichkeiten in erster Linie eine Chance. Sie weiß sehr genau, wie sie die neuen Instrumente nutzen möchte: »Ich schaffe damit Transparenz. Mein Ziel ist es, für die Besucherinnen und Besucher eine bessere Entscheidungsgrundlage zu schaffen.« Bisher sei ein Opernbesuch meist eine »Black Box« gewesen. Das Publikum erfuhr erst, wenn sich der Vorhang hob, was auf es zukam. Zwar hatte man möglicherweise schon Vorberichte und Kritiken gelesen, diese seien aber nur ein – meist textlicher – Ausblick auf das Geschehene aus der Sicht einer Person.

Mit den neuen Medien hat die Oper selbst die Möglichkeit, Einblicke zu gewähren. Sie kann die Arbeit hinter den Kulissen transparent machen, kann multimedial mit Bewegtbild, Interviews, Fotos etc. zeigen, was man auf der Bühne erleben wird. »Ich finde es großartig, dass wir jetzt mit vergleichsweise kleinen Mitteln Videos von den Proben aufnehmen und online stellen können. So erhält man einen optischen, akustischen und emotionalen Eindruck von dem, was kommt.«

Mit dem neuen Format »30 seconds of…« sei die Deutsche Oper am Rhein schon kurz vor der Premiere eines Stückes mit einem eigenen Video-Clip von der Generalprobe online bei Facebook und YouTube. »Damit gelingt es uns, das ‚Kraftwerk der Gefühle‘ einer Opernvorstellung unvermittelt nach außen zu transportieren«, begeistert sich die Marketingleiterin.

Natürlich hat diese steigende Transparenz auch Schattenseiten: »Es gibt beispielsweise eine Facebook-Gruppe mit dem Titel ‚Against Modern Opera Productions‘. Das sind organisierte Gegner des Regietheaters, die alles negativ bewerten, was von den Fotos her nicht zu ihrer Vorstellung bestimmter Opern passt.« Im Blick auf solche »Auswüchse« mag sich die Frage stellen, ob Transparenz nicht auch zu Vorverurteilungen führen kann.

Trotz dieser Diskussionen hält Heide Koch strikt an Dialog und Transparenz als Kernaspekte einer modernen Marketingstrategie fest. »Der Austausch mit dem Publikum ist für uns bereichernd und führt zu einer stärkeren Bindung. Wir bauen Hürden ab und bekommen ein Gefühl dafür, welche Informationen wir wann und wo zur Verfügung stellen müssen. Und wie wir besser werden können: Theatermarketing mischt sich nicht in das künstlerische Produkt ein, aber an der Optimierung des Services vom Kartenkauf über den Empfang am Eingang und an der Garderobe, dem Angebot von Einführungen und Backstage-Touren und vielem mehr arbeiten wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen permanent«, so die Überzeugung.

Dazu kommt, dass der »Kunde« mit fortschreitendem digitalen Angebot immer individueller und weniger leicht planbar wird. Heide Koch spürt diese Entwicklung auch: »Wir haben unser Angebot extrem aufgefächert. Es gibt ganz andere Abo-Modelle, die individueller und flexibler nutzbar sind. Beispielsweise bieten wir eine ‚8er-Karte‘ für Erwachsene und eine ‚Junge 4er-Karte‘ für Schüler und Studenten an, die flexibel einlösbar ist. Dies wird sehr gut angenommen.« Die neueste Idee des Teams um Heide Koch ist das »Entdecker-Abo«. Es stellt dem Wunsch nach einem individuellen Erlebnis Rechnung, indem es vier Opernbesuche jeweils mit einem Zusatzangebot wie einem Meet and Greet mit Künstlern koppelt. Der Erfolg dieses Abos war mit fast 900 Neuabonnenten überraschend hoch. Anscheinend trifft die Deutsche Oper am Rhein damit den Nerv der Zeit.

Aber wohin können diese ganzen Bemühungen führen? Bleibt Oper nicht dennoch ein »Eliteangebot« für ein älteres, finanziell gut gestelltes Publikum? Heide Koch hat dazu eine klare Haltung: »Wir werden die jungen Eltern immer nur schwierig erreichen. Die haben weder Zeit noch Nerv für Kulturangebote dieser Art. Es ist die im kommerziellen Marketing hart umworbene Zielgruppe des ,Silver Market‘, von der Generation der heute gut 50-jährigen Baby Boomer bis zu den aktiven Senioren, die die Kulturangebote intensiv nutzen. Wichtig für uns ist zum einen, die ganz Jungen (sprich Grundschüler) schon mit Oper als Angebot in Berührung zu bringen. Sie sollten positiv erfahren, dass es das gibt, um darauf später zurückkommen zu können. Zum andern bieten wir vielschichtige Berührungsmöglichkeiten und ‚Fenster‘ für die unterschiedlichsten Zielgruppen. So laden wir junge Leute zwischen 16 und 28 Jahren ein, als ‚Operntester‘ unsere Angebote auszuprobieren, und versuchen auf möglichst vielen Kanälen und Plattformen off- und online präsent zu sein.«

Als Ergebnis soll neben dem angestammten Abo-Publikum ein möglichst breites Wechselpublikum in die Oper gezogen werden. Das verlangt, immer mehr und facettenreicher in den Dialog zu treten. Eine große Herausforderung, denn am Ende – da ist sich Heide Koch sicher – wird es so bleiben, dass die finanziellen und personellen Ressourcen eines öffentlich geförderten Theaterbetriebs zum allergrößten Teil dafür eingesetzt werden, begeisternde und außergewöhnliche Theaterabende zu gestalten. Deshalb bleiben die Marketing-Budgets begrenzt. »Die Kunst steht an erster Stelle. Wir arbeiten alle gemeinsam daran, die Magie des Augenblicks, in dem sich der Vorhang hebt, herzustellen und zu vermitteln«, so Koch.


(Foto: Klaudia Taday)

Sabine Haas

Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".

Kommentare

  1. Avatar
    Rouven Kasten 23. März 2017 at 13:23 - Reply

    Interessant auch dazu das Format Opernscouts Siehe hier:

    http://www.gestalterhuette.de/2014/11/09/ploetzlich-opernscout-deutsche-oper-am-rhein-duisburg-zirkusprinzessin/

    Gruß Rouven Kasten

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