Intendant Kay Voges zu Digitalisierung und Theater

Kay Voges ist seit 2010 Intendant des Theater Dortmund und gilt als wagemutig, experimentierfreudig und richtungsweisend für die Digitalisierung des Theaters. Beim diesjährigen KulturInvest-Kongress in Berlin sprach er ausgiebig über sein Verständnis von modernem Theater und seiner Motivation, besonders das Thema Digitalisierung in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen.

»Seit nun schon neun Jahren versteht sich das Dortmunder Schauspiel als Labor für die digitale Gegenwart«, sagt Voges und erläutert, wie es dazu kam. »Wir haben uns gefragt, was ist Theater? Theater ist immer Gegenwart. Jedes Schauspiel – anders als Literatur oder Musik – wirkt nur in der Gegenwart, im Hier und Jetzt, im Moment der Inszenierung. Daher hat Theater mehr als andere Genres die Pflicht, Gegenwart zu beschreiben, aber auch Mittel der Gegenwart zu nutzen.«

Hier erlebt Kay Voges einen Bruch: Obwohl das Theater extrem gegenwartsbezogen ist und sein sollte, arbeitet es als Institution und »Maschinerie« immer noch wie vor hundert Jahren. Dies zu ändern und mit aktuellen Mitteln aktuelle Themen zu behandeln, ist ein Ziel von Voges Inszenierungen. Aber was genau bedeutet das?

Inszenierung im Stream

Für Regisseur Kay Voges und Dramaturg Alexander Kerlin ist eine »digitale und gegenwartsbezogene Theaterinszenierung« ein vielschichtiges Konstrukt. Es beginnt bei den Inhalten, die meist keine lineare Geschichte erzählen, sondern aus Bruchstücken, Bildern und wechselnden Perspektiven bestehen. Damit bildet das Team in Dortmund die digitale Mediennutzung und Wahrnehmungskultur ab: Wir leben im Stream und klicken uns durch verschiedene Wirklichkeiten und Perspektiven.

Formal verlässt Voges folgerichtig das traditionelle »Theaterportal« und löst die klassische Inszenierung durch ein digitales, multimediales Gesamtkunstwerk ab. Mit Live-Regie, der Kombination von Webinhalten, Videomitschnitten der Inszenierung, Live-Musik und den immer neu zusammengesetzten Schauspiel-Elementen des Ensembles entwirft er eine Collage, die bei jeder Aufführung neu und anders ist.

»In ,Das goldene Zeitalter‘ hatten wir insgesamt acht Stunden Material vorbereitet. In der Aufführung selbst wurden dann jedes Mal individuell vier Stunden davon ausgewählt. Dieses Material lief vor dem Publikum ab wie Streams beim Surfen im Netz. Wie im Netz beginnt die Session für alle an einem Punkt und mäandert dann für jeden in unterschiedliche Richtungen«, beschreiben Kay Voges und Alexander Kerlin ihre Idee.

Der Aufwand für ein solches durch und durch digital beeinflusstes Theater ist hoch: »Wir benötigten bei ,Das Goldene Zeitalter‘ sechs Kameras, um Ausschnitte des Livestreams auf die Bühne übertragen zu können, Live-Musiker und natürlich das Ensemble.«

Ein ähnliches Prinzip verfolgen Voges und Kerlin auch bei »Borderline-Prozession«. Hier löst sich die Bühne auf und wird ersetzt durch ein Haus mit 21 Zimmern und einen Außenbereich. Innen und außen spielt sich das Leben in unterschiedlichen Facetten ab. 23 Schauspieler erleben Situationsvariationen, das Ganze überlagert, ergänzt durch Videoeinspielungen und O-Töne oder Zitate. Der Theaterraum wird verwandelt in einen virtuellen Raum, der ein Erleben in 360-Grad-Ansicht ermöglicht und zugleich die Grenzen dieses Informations-Overkills deutlich macht.

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Noch imposanter wird die Digitalisierung als künstlerisches Instrument deutlich im Mammutwerk »Die Parallelwelt«. Hier inszeniert der Dortmunder Theaterintendant sein Stück zeitgleich am Schauspiel Dortmund und am Berliner Ensemble. Dank digitaler Technik und einer Glasfaserleitung zwischen beiden Standorten wird es möglich, eine Geschichte an zwei Orten zu erzählen und sie dennoch gemeinsam zu erleben. Videoübertragungen von A nach B, Dialoge zwischen Berlin und Dortmund machen »eine Simultanaufführung über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« möglich. Voges: »Damit haben wir ein Experiment gewagt und es ist gelungen.«

Gründung einer Akademie für Digitales Theater

Alle diese Inszenierungen haben für Kay Voges sehr deutlich gezeigt, dass sich ein klassisches Theater in Zeiten der Digitalisierung entwickeln muss. Die Belegschaft, die eingesetzte Technik, das bereitstehende Personal bildet nicht ab, was im Kosmos digitaler Medien zur Verfügung steht. Dies führte zur Idee der »Akademie für Digitalität und Theater«. Kay Voges: »Es ist uns gelungen, Gelder und Unterstützer für dieses Projekt zu gewinnen, sodass wir im März 2019 mit der Arbeit beginnen können.« Voges Ziel war es, Zeit und Raum zum Forschen und Entwickeln von Technologien zu schaffen, aber auch bestehendes und neues Personal im Theater für die Herausforderungen der Digitalisierung fit zu machen.

»Eine Säule der Akademie wird die Qualifizierung der Techniker sein. Wir wollen eine Fortbildung für künstlerisch-technische Berufe anbieten«, erläutert der Theaterintendant und Vordenker. Ein zweiter, wesentlicher Baustein ist ein Stipendienangebot für postgraduierte, junge Künstler. Diese können sich mit Projekten bewerben und erhalten sechs Monate lang finanzielle Unterstützung sowie die Möglichkeit, ihr Projekt mit dem Theater Dortmund gemeinsam aufzuführen. »Von der dritten Säule träumen wir noch«, so Voges weiter. »Wir würden gerne einen Studiengang ,Digitalität und Theater‘ gründen. Dies ist allerdings ein Projekt, das einen höheren Aufwand erfordert. Wir hoffen, es gelingt eines Tages«, beschließt er seine Erläuterungen.

Die Digitalisierung erweitert das bisherige Spektrum

Mit seiner Akademie möchte Kay Voges eine Antwort geben auf den gesellschaftlichen Wandel in Zeiten einer fortschreitenden Digitalisierung. Es ist ihm wichtig, dass das Genre Theater nicht in seinen Traditionen verharrt, sondern sich in einer Art disruptivem Prozess den neuen Bedingungen stellt und einen grundlegenden Wandel vollzieht. Damit bricht er die klassischen Theaterstrukturen auf und legt einen Kosmos neuer Möglichkeiten frei. Inwieweit andere Theater ihm in dieser Entwicklung folgen, wird sich zeigen. Sicher ist, dass er das Spektrum der Möglichkeiten deutlich erweitert.

Headerbild: Kay Voges by Marcel Schaar

Sabine Haas

Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".

Kommentare

  1. Avatar
    Christian 22. November 2018 at 17:40 - Reply

    Ich finde, es klingt spannend, was Kay Voges macht. Aber bleibt er nicht letztlich bei einer klassischen Dramaturgie, die mit einer Flut digitalen Materials angereichert wird? Interessant finde ich auch, wenn Prozesse und typische Mechanos des Digitalen (wie Interaktivität, Vernetzung etc.) die Kunstproduktion unmittelbar beeinflussen, wie es freie Ensembles wie Ex Machina machen.

  2. […] merklich aus. Vor allem lebende Komponisten kommen mit gerade mal 9 Prozent sehr selten zum Tragen. Dortmund ist unter den NRW-Opernhäusern dabei das »lebendigste«. Hier leben immerhin noch ein Drittel der […]

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