Ein Besuch der Bayerischen Staatsoper München: Die Operette Guiditta in bruchstückhafter Inszenierung

Christoph Marthaler bringt Lehárs Stück wenig wirkungsvoll mit viel kritischer Distanz auf die Bühne.

Ein Besuch der Oper ist inzwischen eher zu einer Seltenheit geworden. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass wir in der Vorweihnachtszeit Karten für die Bayerische Staatsoper in München bekommen haben. Wir waren eingeladen, die Operette „Guiditta“ von Franz Lehár anzuschauen. Wie immer bin ich in Begleitung gegangen. Wir haben also zu der Pressekarte, die ich freundlicherweise erhalten habe, eine weitere Karte gekauft, zum regulären Karten-Preis von 199 Euro. Ein vergleichsweise stolzer Preis, da München zu den renommiertesten Opernhäusern der Welt gehört und erstklassige Sänger auf die Bühne bringt. Entsprechend hoch war unsere Erwartung an den Abend.

Kritische Auseinandersetzung mit den 20er- und 30er Jahren

Vor Beginn besuchten wir die Einführung, die auf die besondere Inszenierung durch Christoph Marthaler vorbereiten sollte. Marthaler ist ein namhafter und sehr rühriger Theater- und Opernregisseur. Die Liste seiner bisherigen Inszenierungen ist lang und beeindruckend: Christoph Marthaler – Wikipedia

Wir erfahren, dass Marthaler die 1934 uraufgeführte Operette in einer kritischen Auseinandersetzung mit den 1930er Jahren erzählt. Seine Grundidee ist es, der leichten und teilweise durchaus auch seichten Musik von Franz Lehár die avantgardistische Musik der Zeitgenossen entgegenzustellen. Es ist – so die Erläuterung in der Einführung – dem Regisseur Marthaler sehr wichtig, einen Komponisten, der von Hitler sehr geschätzt wurde, nicht ohne kritische Einordnung aufzuführen.

Im Verlauf des Abends wird deutlich, was mit diesem Konzept gemeint ist: Die Operette wird immer wieder durch Lieder und Musikeinlagen unterbrochen, die aus einer ganz anderen stilistischen Richtung kommen: Alban Berg, Schönberg, Schostakowitsch und andere werden gegen Lehár gestellt. Prinzipiell eine interessante Idee, denn es wird deutlich, wie unterschiedlich die Musikstile in den 20er und 30er Jahren waren und wie stark sich die musikalische Avantgarde von der Unterhaltungsmusik eines Franz Lehár unterscheidet.

Alle Leichtigkeit eliminiert

In der Gesamtheit des Stücks funktioniert Marthalers Ansatz für uns allerdings leider überhaupt nicht. Wir kannten die Operette beide nicht und haben uns nach entsprechender Vor-Recherche auf einen leichten, lustigen und unterhaltsamen Abend gefreut. Lehár selbst nannte sein Werk „eine musikalische Komödie“, auch wenn sie – was für Operetten untypisch ist – kein Happy End hat und eher eine Mischung aus Oper und Operette darstellt.

Kurz zur Handlung: Es geht um den Offizier Octavio, der sich vor seiner Überfahrt nach Afrika in die wunderschöne Guiditta verliebt, der Tochter einer bekannten Tänzerin. Diese verlässt ihren Mann und das sehr langweilige Eheleben und begleitet Octavio auf seiner Reise in den Krieg. In Afrika angekommen verlangt Guiditta, dass Octavio bei ihr bleibe statt in den Krieg zu ziehen. Octavio hadert mit sich und entscheidet sich schließlich für die Erfüllung seiner Pflicht. Die Beziehung zerbricht. Beide treffen sich nach Jahren noch zwei Mal wieder, aber am Ende ist Octavios Liebe zu Guiditta erloschen. Die Komik der Operette von Lehár wird – so erfahre ich aus der Recherche – vor allem durch das Buffo-Paar, das in einem zweiten Handlungsstrang auftritt, erzielt. In der Marthaler-Version wird diese Komik allerdings komplett eliminiert und ein zweites tragisches Paar taucht auf, entnommen aus einem Stück von Ödön von Horváth. Es handelt von dem Soldaten Sladek, der seine eigene Geliebte, Anna, ermordet, weil sie seine Armee an den Feind verraten möchte.

Mit den drastischen Eingriffen in Musik und Handlung hat der Regisseur alle Leichtigkeit aus dem Stück konsequent eliminiert. Das Ergebnis: Eine Aufführung, die auf uns wie ein Flickenteppich wirkt, ein Stückwerk ohne eine nachhaltige Dramaturgie oder Wirkung. Wir haben den Eindruck, es gehe den Macherinnen und Machern (Regie, Bühnenbild, Kostüme, Choreographie) vor allem um die Zerstörung des Ursprungswerkes, das für sie aus historischen Gründen nicht akzeptabel erscheint. Es gelingt ihnen aber aus unserer Sicht nicht, etwas Neues, Anderes zu schaffen, dass uns als Publikum anrührt und „packt“.

So werden beispielsweise alle Tanzelemente durch wilde Verrenkungen und ein Stolpern über die Bühne ersetzt. Soll das Slapstick sein und komisch? Soll es die quälenden „Verrenkungen“ darstellen, die die Bevölkerung im Nazi-Deutschland machen musste, um zu überleben? Wir sitzen ratlos davor, alles in allem wenig begeistert und schon gar nicht gerührt.

Unser Eindruck: Ein dramaturgischer Scherbenhaufen

Die Anläufe, die die Musik von Lehár nimmt, um uns in Bann zu ziehen, werden rüde unterbrochen. Die Leistungen der Sängerinnen und Sänger, die uns begeistern, enden für uns in einem dramaturgischen Scherbenhaufen.

Dieser Eindruck zieht sich über alle Bereiche der Inszenierung: So sind wir zum Beispiel wenig beeindruckt von dem Bühnenbild. Die Oper München zeichnet sich unter anderem durch eine enorm große Bühne im Staatstheater aus, die spektakuläre Bilder erlaubt. In diesem Fall war das Bild anscheinend bewusst trist gewählt. Es wird ein schmuckloser Raum gezeigt, der später einmal durch eine Art „Sandkasten“, ein anderes Mal durch eine Reihe von Sesseln zu anderen Szenenbildern „umgebaut“ wird. Das wirkt weder besonders imposant, noch sehr ideenreich.

Ähnliches gilt für die Kostüme: Sie zeigen ebenso viele Brüche wie die Inszenierung selbst, so dass auch hier kein rundes Bild entsteht. Die Kostüme sind angelehnt an die 20er und 30er Jahre, aber dabei weder historisch korrekt, noch aussagekräftig oder herausragend. Für uns sind sie in erster Linie langweilig.

Hervorragende Leistung von Orchester und männlicher Titelrolle

Eine hervorragende Leistung zeigt das Orchester unter der Leitung von Titus Engel, das zwar durch die musikalischen Brüche ebenfalls an vielen Stellen „gebremst“ wirkt, aber wunderbar spielt. Die Sängerinnen und Sänger geben sicher ebenfalls ihr Bestes. Besonders hervorheben möchte ich Daniel Behne in der Rolle des Octavio, der mir am besten gefallen hat. Ebenfalls sehr gut besetzt waren die Rollen von Sladek und Anna. Hier überzeugen Kerstin Aveno und Sebastian Kohlhepp mit ihrer Leistung.

Leider überhaupt nicht passend erscheint uns dagegen die Besetzung der Guiditta mit Vida Miknevičiūtė. Ob diese Besetzung bewusst gewählt wurde, hat sich uns nicht erschlossen. Es wirkt jedoch wenig überzeugend, wenn eine eher kühle, distanzierte Guiditta die heißblütige, temperamentvolle Tänzerin gibt und „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ singt.

Am Ende sind wir ziemlich ratlos und haben das Gefühl, um eine Operette von Franz Lehár betrogen worden zu sein. Auch das übrige Publikum, das auf Grund der Corona-Regeln sehr stark dezimiert ist, wirkt wenig begeistert. Das großartige Staatstheater, die tolle Atmosphäre und die hervorragenden Sänger können die getrübte Stimmung, die im Saal herrscht, bis zum Ende nicht aufhellen und nach einem eher verhaltenen Applaus leert sich der Saal auffallend schnell.

Im Nachhinein fragen wir uns, was eigentlich gezeigt werden sollte mit diesen Versatzstücken verschiedener Quellen. War es das Ziel, aus einem leichten Operettenstück ein tiefgreifendes Gesellschaftsportrait zu machen? Wollte Marthaler die Widersprüche der Zeit ins Bild setzen? Aus unserer Sicht ist beides nicht gelungen. Geblieben ist für uns eine zerbrochene Guiditta, die so gründlich zerlegt wurde, dass man sich fragt, ob man bei einer derart kritischen Haltung Lehár gegenüber vielleicht auf eine Inszenierung dieses Komponisten ganz hätte verzichten sollen.

Guiditta läuft noch bis zum 6. Januar, leider ist derzeit das Kartenkontingent schon vergriffen.

Artikelbild: © Bayerische Staatsoper

Sabine Haas

Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".

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