Eine Wundertüte voller Überraschungen

Das Seriencamp-Festival ist erstmals online für alle per Stream nutzbar. Sabine Haas urteilt: Die Inhalte sind top, das Format leider flop.

Seit 2015 gibt es das Münchener Seriencamp. Die zuletzt viertägige Veranstaltung war in erster Linie als Publikumsfestival konzipiert, bei dem das Thema Serie im Rahmen öffentlicher und kostenfreier Kino-Vorstellungen zu einem gemeinsamen Erlebnis gemacht werden sollte. Darüber hinaus wurde im Rahmen einer Fachkonferenz der kreative Austausch von Machern, Produzenten und Sendern ermöglicht.

Aktuell wird das Seriencamp coronabedingt erstmals als Online-Event durchgeführt. Es startete am 5.11 mit einer Vorab-Premiere der Serie Spy City und läuft noch bis zum 22.11. Nutzer*innen in Deutschland können sich kostenlos registrieren, um sich die über 70 ausgewählten Serien verschiedener Genres und Herkunftsländer anzusehen. Darüber hinaus gibt es spannende Interviews zu deutschen Neuproduktionen, die während der Fachkonferenz am 6. Und 7.11 geführt wurden.

Für mich war die Teilnahme am Seriencamp Festival eine Premiere. Ich kannte die Konferenz bisher nicht und war sehr gespannt, welche Angebote und Fachbeiträge ich zu sehen bekomme. Meinen Erfahrungsbericht möchte ich hier mit Euch teilen.

Das Anmelden und Einloggen für die Konferenz ist unkompliziert und einfach. Mit der Registrierung erhält man Zugang zum Seriencamp-Watchroom, in dem man die für die Vorstellung ausgewählten Serien nach verschiedenen Kategorien auswählen und anschauen kann. Meist werden der Trailer und zwei weitere Folgen zur Verfügung gestellt. Bei Neustarts naturgemäß nur der Trailer.

Das Angebot an Serien ist vielfältig und in jeder Hinsicht spannend: Man sieht Formate aus der ganzen Welt, verschiedenste Genres, verschiedene Längen etc. Man kann Stunden und Tage damit verbringen, durch die verschiedenen Serienformate zu stöbern und sich in immer neue Erzählwelten ziehen zu lassen. Es wird erkennbar, wie bunt und vielfältig der Serienmarkt inzwischen ist und wie viele spannende Angebote hier zu finden sind.

Besonders gefallen haben mir:

Sendungsbild der Serie Lost in Moldovia

Lost in Moldavia (USA, Webserie)

Erzählt wird die Geschichte des Amerikaners Diego, der sich spontan für ein Friedenscorps gemeldet hat, um irgendwo auf der Welt an tollen Stränden coole Dinge zu erleben. Dummerweise verschlägt es ihn nach Moldavien, was nicht ganz seiner Vorstellung eines „exotischen Ziels“ entspricht. Er lernt ein Land kennen, dass sich von Kultur und Menschen sehr von ihm unterscheidet und muss viel Neues lernen.

Sendungsbild der Serie Who Died

Who died (Israel, TV-Serie)

Es geht um den Telefonvermarkter Eran, der die Diagnose Krebs erhält. Er will die Krankheit nicht wahrhaben und versucht weiterzumachen, als wäre nichts geschehen. Dies gelingt ihm allerdings nicht, er verliert seinen Job und kann bei den abendlichen Ausflügen seiner Kumpel nicht mehr teilnehmen. Als er die Krebspatientin Michal kennenlernt, kann er endlich mit jemandem reden.

Beide Serien haben einen feinen Humor und unterscheiden sich schon allein durch die Lebenswelten, die sie zeigen, deutlich vom Mainstream. Aber sie sind auf keinen Fall die einzigen sehenswerten Formate, die das Seriencamp Festival vorstellt. Unter anderem wird auch die Serie „La Jauria“ vorgestellt, ein Format aus Chile, das sich mit dem Thema sexueller Gewalt befasst und den Seriencamp-Award gewonnen hat.

Neben der Vorstellung verschiedener Neuproduktionen erhält man zusätzlich auch einen Blick hinter die Kulissen. Im Rahmen des Konferenzprogrammes wurden verschiedene deutsche Serien vorgestellt. In Gesprächsrunden wurde die Entstehung der jeweiligen Formate beleuchtet. Dabei waren die Macher*innnen, Protagonist*innen oder die Redaktionen entweder live im Interview zu sehen oder via Video-Zuschaltung.

Für mich war spannend zu sehen, wie vielfältig die Produktionsmöglichkeiten in Deutschland inzwischen geworden sind und welche Breite an Formaten aktuell möglich ist. So wird ein Format für Joyn vorgestellt, ebenso wie eine Serie für ZDF neo oder eine Comedy für TNT. Die Einblicke, die die jeweiligen Produktionsteams geben, sind sehr aufschlussreich für das Verständnis der Serienlandschaft in Deutschland. Mich haben diese Gesprächsrunden über die Entwicklung einer Serie und die Zusammenarbeit der Sender mit den Produktionsfirmen teilweise sehr gefesselt.

Trotz dieser positiven Bilanz in Punkto Inhalten, kann ich das Seriencamp-Festival als Format nicht als gelungen bezeichnen. Es ist zwar sehr nett, sich die Inhalte anzuschauen, aber es hat wenig von einem Camp- oder Festivalcharakter. Natürlich ist es schwer, das gemeinsame Sehen in einem Kinosaal online zu ersetzen. Dennoch wäre sicher mehr Interaktion möglich gewesen, um dem Angebot einen stärkeren Rahmen zu geben.

So werden beispielsweise die Kommentare kaum genutzt und man findet keinerlei Chat oder Dialogangebote auf der Plattform. Auch ist es schwierig, überhaupt in den Konferenzbereich zu finden. Mir ist es leider an den Tagen der Konferenz selbst nicht gelungen, den Zugang zu den Live-Events zu bekommen. Erst im Nachhinein konnte ich die Gesprächsrunden im Watchroom ansehen. Aber auch jetzt noch habe ich die Schwierigkeit, dass ich weder die Seite der Preisträger noch die Konferenzmitschnitte auf Anhieb finde, sondern jedes Mal wieder herumsuche, bis ich darauf stoße.

Zu den Serien selbst gibt es zwar teilweise ein kurzes moderatives Intro, aber nicht immer. Auch da fehlt allerdings die Ansprache des Publikums und es gibt weder in den Intros noch in den Serienbeschreibungen ein „Call to action“.

Das ist sehr schade, denn beim Seriencamp soll es ja sicher nicht nur darum gehen, sich neue Serien anzuschauen und zu bewerten. Man hätte beispielsweise Fragestunden oder Dialogrunden mit dem Publikum durchaus in das Format einbinden können.

Es entsteht das Gefühl, dass beim Seriencamp 2020 versucht wurde, das analoge Format mehr oder weniger unverändert digital umzusetzen. Das hat nicht funktioniert.

Ich bin gespannt, wie sich das nächste Seriencamp Festival präsentieren wird. Wenn es weiterhin als Online-Angebot bestehen möchte, ist es sicher notwendig, das Konzept dahingehend weiterzuentwickeln. Jedenfalls bietet das Seriencamp ausreichend Potenzial, auch digital sein Publikum zu erreichen – nur sollte man dazu nicht allein auf die Ausstrahlung der Serienformate setzen.

Wer beim Seriencamp Festival einmal schnuppern möchte: Der Zugang findet sich hier.

Sabine Haas

Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".

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