Haben Musiker*innen im Lockdown von digitalen Plattformen profitiert, Sylvie Atterer?

Livestreaming ist in der Pandemie für viele Musiker*innen zumindest zeitweise die einzige Möglichkeit, vor Publikum aufzutreten. Wie Streaming-Angebote in der Branche angenommen werden und welchen Einfluss sie haben, fragt Mirjam Wilhelm die Musikagentin Sylvie Atterer.

 Wie ich als leidenschaftlicher Musikfan persönlich die Live-Konzerte in den Lockdown-Zeiten vermisst habe, habe ich neulich in meinem Blog-Beitrag zur gegenwärtigen Musikbranche bereits beschrieben. Viele Künstler*innen mussten in der Zeit spontan auf diverse digitale Kanäle ausweichen, um sich mit Livestream-Konzerten über Channels wie Twitch, YouTube oder ihre eigenen Social-Media-Kanäle über Wasser zu halten. Zum Teil gab es auch Events mit Spendenmöglichkeit, wie zum Beispiel die Gothicat Festivalreihe. Teilweise wurden für die Streams Tickets verkauft, durch die sich die Fans dann mit einem Code einwählen konnten. Ob und inwiefern digitale Wege geholfen haben und was davon zurückbleibt, habe ich die Kölner Musikagentin Sylvie Atterer gefragt. Sie betreibt ihre eigene Agentur Sailor Entertainment, in der sie Künstler wie Evanescence, Beyond The Black und Wardruna vertritt.

Mirjam Wilhelm (MW): Was war im Frühjahr 2020 dein erster Gedanke, als du gehört hast, es gibt erstmal keine Konzerte mehr?

Sylvie Atterer (SA): Am Anfang war das für alle der totale Schock. Zuerst dachte ich dann aber, gut, bis Herbst haben wir das im Griff. Das haben alle gedacht – zum Beispiel haben Evanescence und Within Temptation ihre gemeinsame Tour vom Frühjahr dann in den Herbst gelegt. Dann war aber für alle klar, das geht gar nicht, und wieder musste alles verschoben werden. Und so war das ja bei ganz vielen anderen auch.

MW: Welche weiteren Auswirkungen gab es auf dich und die Künstler*innen?

SA: Natürlich wurden auch viele Song- und Albumveröffentlichungen verschoben, da diese oft an die Touren gekoppelt sind. Auch hier wurde erstmal vieles auf den Herbst 2020 gelegt. Für mich als Inhaberin meiner Agentur war das schwierig, denn ich plane immer mehrere Monate im Voraus, schließe Verträge mit den Labels und Managements etc. Wenn dann so viel verschoben wird, kann ich für diesen Zeitraum erstmal nichts Neues annehmen. Das war schon schwierig.

MW: Wie ging es dann mit den Livestreams los?

SA: Beyond The Black waren glaube ich eine der ersten, die mit den „Wohnzimmer-Konzerten“ angefangen haben, also Konzerte via Livestream von zuhause oder dem eigenen Studio aus. Viele Bands haben gemeinsam mit ihren Labels Strategien entwickelt, wie man digitale Auftritte umsetzen könnte. Die meisten haben dann digital ganze Konzerte gemacht, zum Teil mit riesigem Aufwand, toller Ausleuchtung etc. Aber kleine Bands können das natürlich gar nicht leisten.

MW: Einige Plattformen haben während des Lockdowns auch Tickets für die Streamings verkauft. Was hältst du davon?

SA: Das sind dann meist schon richtig große Unternehmen, die ja dann auch die Serverleistung entsprechend zur Verfügung stellen und natürlich auch mitverdienen wollen. Aber es war nun mal neben den Merchandise-Verkäufen die einzige Möglichkeit für Künstler, mit Livemusik überhaupt noch Geld zu verdienen.

MW: Kann bei einem Livestream-Konzert der Kontakt zwischen Publikum und Künstler überhaupt richtig entstehen?

SA: Bei Wardruna zum Beispiel ist es ja eine andere Situation als bei Metalbands oder so, die Musik ist ruhig und sphärisch, da kann das funktionieren. Aber grundsätzlich ist es kein Vergleich zu einem richtigen Live-Konzert, da muss ja der Funke in echt überspringen. Was man so hört, waren die meisten maximal frustriert.

MW: Bringt die Digitalisierung gerade für Künstler*innen, die nicht von großen Labels abhängig sind, neue Möglichkeiten?

SA: Es kann schon sein, dass es am Anfang so war. Aber auf Dauer sind gerade kleine Bands sehr davon abhängig, durch Jugendzentren und andere kleinere Locations zu ziehen. Da kommen dann auch Leute hin, die ihre Kumpels mitbringen, und so werden sie bekannt. Für einen Livestream braucht man erstmal eine Fanbase, die sich das dann auch anschaut. Wenn die Verbreitung über Social Media vorher nicht funktioniert hat, dann hat es während der Pandemie noch weniger funktioniert.

MW: Was kann man aus deiner Sicht und deinen Erfahrungen nach aus dieser Zeit beibehalten?

SA: Erstmal wollen alle wieder raus. Denn an Live-Konzerten hängen ja auch viele weitere Jobs, Techniker usw. Während Künstler vielleicht durch Livestreams noch etwas verdienen konnten, waren die Gitarrentechniker und alle in dieser Branche komplett raus. Aber für mich persönlich gab es schon positive Punkte, da ich nicht nur Livekonzerte, sondern auch Alben und deren Veröffentlichung promote. Das konnte ich sehr viel ausgiebiger digital machen und auf Remote Work umstellen. Das habe ich vor Kurzem erst gemacht, eine Zeitlang habe ich von Frankreich und Spanien aus gearbeitet und so den Beruf mit Urlaub verbunden. Das kann man natürlich im „normalen“ Leben kaum machen. Ich finde, so hat das für viele, die nicht existenziell betroffen waren, auch etwas Gutes gehabt. Nur wenn du Musiker bist und dein Leben auf der Bühne verbringst, dann hatte es natürlich nichts Gutes.

 

Artikelbild: © Sylvie Atterer

Mirjam Wilhelm

Die Onlineredakteurin ist begeisterte Musikliebhaberin und nutzt jede Gelegenheit, Konzerte und Festivals zu besuchen. Daher freut sie sich sehr, sich auch im Kultur-Blog ihrer Leidenschaft widmen zu können.

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