»Johanna auf dem Scheiterhaufen«: Interview mit dem Regisseur Romeo Castellucci

Zuerst dachte ich ja: »Was hast Du Dir da nur angetan?« Es ist zwar schön, dass ich wieder nach Lyon fahren darf, um über Arthur Honeggers Werk »Johanna auf dem Scheiterhaufen« zu berichten, das aus den 30er-Jahren stammt und extrem komplex und eigenwillig anmutet. Ich habe allerdings auch zugestimmt, mit dem Regisseur dieser Inszenierung, Romeo Castellucci, der als »skandalumwittert« und »enfant terrible« beschrieben wird, ein Interview führen zu wollen. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Der Typ inszeniert auf radikale Weise seit den Achtzigern Opern und ich als interessierter Opernlaie soll jetzt mit dem reden? Wahrscheinlich zerreißt er mich in der Luft.

Entsprechend aufgeregt gehe ich in das Interview. Zum Glück muss ich es nicht alleine führen. Aufgrund der vielen Anfragen sind immer zwei Journalisten/Blogger im Termin. Mich begleitet Dr. Michael Zerban, der Chefredakteur des Online-Kulturmagazins O-Ton, der mir den Gesprächseinstieg abnehmen wird.

Wir treffen Romeo Castellucci in einem schwarzen Konferenzraum des schwarzen Verwaltungsteils der schwarzen Oper Lyon. Der Italiener, der perfekt französisch spricht (mein Selbstbewusstsein schrumpft noch ein wenig), begrüßt uns freundlich und lässt sich geduldig für das Videostatement des Kollegen in Position bringen. Damit ist er mir gleich sympathisch, denn er hat bereits einen ganz ordentlichen Interviewmarathon hinter sich.

Der Kollege Dr. Zerban möchte wissen, welche Idee Castellucci mit der aktuellen Inszenierung verfolgt. Während er seine Gedanken erläutert, wirkt der Italiener mit der runden Intellektuellen-Brille gar nicht »skandalumwittert«. Eher schüchtern, nachdenklich, nach innen gekehrt. Er wolle Johanna von ihren Stereotypen und Deutungen befreien. Sie »ausgraben« und Schicht für Schicht abtragen, was ihr an Ideologie und Rolle »auferlegt« wurde.

Jetzt frage ich ihn, warum er sich für eine solche eher »seltsam anmutende« Oper interessiert. Ohne jede Arroganz stellt er richtig, dass es ja keine Oper, sondern ein Oratorium sei oder besser noch eine Mischung aus Oratorium und Theater. Diese besondere Form sei es, die ihn sehr gereizt habe. Tatsächlich habe Arthur Honegger mit diesem Werk ein extrem experimentelles Format geschaffen, das Musiktheater anders definieren wollte als die klassische Oper.

Honegger mischt in »Johanna auf dem Scheiterhaufen« verschiedene Erzählformen wie Rückblende, Parabel und Mythos mit verschiedenen Darbietungsformen wie Gesang, Sprechtheater etc. Im Grunde handle es sich also um crossmediales Storytelling, frage ich. Ja, bestätigt Castellucci lachend, so sei es.

Ich möchte daraufhin wissen, ob es nicht schwierig ist, ein derartig komplexes Werk zu inszenieren, ohne es noch schwieriger zu machen. Wie habe er das gelöst? Er erklärt es und nachdem ich die Inszenierung gesehen habe, muss ich sagen: Genial! Castellucci hat sich radikal auf Johanna fokussiert und ihre Isoliertheit während des Prozesses, der sie zur Ketzerin erklärt, in den Mittelpunkt gestellt. Sänger, Orchester und Chor blieben die ganze Zeit über unsichtbar. Der Gesang kam sogar aus dem Untergeschoss. Dadurch rückte die Komplexität von Johanna in den Mittelpunkt, während man die Komplexität der verschiedenen Erzählschichten als Randerscheinung »au passant« erlebt und dadurch sehr leichtfüßig vermittelt wurde. Eine in meinen Augen tolle Inszenierung, die auch das Premierenpublikum außerordentlich begeisterte.

Wie auch im Interview, so hatte man auch bei der Inszenierung den Eindruck, Castellucci habe eine große Sensibilität für die zentralen Botschaften von Geschichten und ein starkes Vermögen bei der Umsetzung einer Essenz in Bildsprache.

Aber warum dann »enfant terrible«? (Okay, nach dem, was ich gelesen und gehört habe, hat er schon einiges auf die Bühne gebracht, was Anlass für Skandal war wie etwa Komapatienten, Stiere, von der Decke fallende Autos und Fäkalien.) Er wirkt in keiner Weise wie jemand, der zu Effekthascherei neigt. Tatsächlich weist er selbst den Titel des skandalträchtigen Regisseurs auch weit von sich. Er versteht sich nicht als Provokateur, sondern inszeniert »ganz klassisch«. Tja, wahrscheinlich hat er damit sogar Recht, auch wenn eine nackte Johanna, die sich die letzte halbe Stunde auf der Bühne aus dem Leben kämpfte, dem auf den ersten Blick zu widersprechen vermag.

Am Ende war ich sehr froh, diesen spannenden Bilder-Denker getroffen zu haben. Ich fand es faszinierend, zu hören und zu erleben, wie er eine fiktionale und damit »virtuelle Geschichte« hart in die Wirklichkeit überträgt und sein Publikum mit seinen radikalen Bildwelten fordert. Ihn und seine Johanna werde ich nicht so schnell wieder vergessen.

Bildrechte Foto: Stofleth

Sabine Haas

Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".

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