Eine Oper wie ein Italo-Western: Spannend und imposant

Von |2023-01-24T16:43:25+01:0024.01.2023|Oper|

Gelungene Inszenierung von Puccinis „La Fanciulla del West“ in Hagen

Dreckige Männer bei der Goldsuche, ein Saloon, waffentragende Sheriffs – ein überraschendes Sujet für eine Oper, zumindest für mich. Giacomo Puccini hat mit „La Fanciulla del West“ (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) eine besondere Oper geschaffen, die eine emotionale Geschichte an einem außergewöhnlichen Ort erzählt. Ihre „Story“ ist spannend wie ein Western, sie ist musikalisch und stimmlich gewaltig, dabei hoch emotional und sensibel. Ein wunderbares Werk!

 

Wenig bekannte Oper handelt von Goldgräbern

Die wenig bekannte Oper handelt von der jungen Minnie, die als einzige Frau am Rande eines Goldgräberlagers einen Saloon betreibt. Sie ist umgeben von frustrierten, gescheiterten Männer-Existenzen, die in ihr den einzigen Lichtblick sehen. Minnie kümmert sich engelsgleich um die Sorgen und Nöte der Goldgräber, weist ihre Annäherungsversuche allerdings kategorisch ab. Besonders aufdringlich ist Sheriff Jack Rance, der Minnie unbedingt „haben“ möchte.

Eines Tages kommt ein Fremder, der sich Johnson nennt, ins Goldgräber-Lager. Minnie und Johnson verlieben sich. Sie erfährt erst später, dass es sich um den Straßenräuber Ramerrez handelt, der die Postwege unsicher macht und von der Postkutschenlinie Wells Fargo und dem Sheriff gesucht wird. Nach einem Besuch in Minnies Hütte wird Johnson/Ramerrez angeschossen und obwohl Minnie über die Entdeckung seiner Identität entsetzt ist, hilft sie ihm. Sie versteckt ihn in ihrer Hütte.

Männer im Bühnenbild der Oper Puccini im Theaterhagen

Foto: Theaterhagen

 

Emotionale Liebesgeschichte mit bombastischer Musik

Als Sheriff Rance ihn dort findet, überredet Minnie den Gesetzeshüter, mit einer Partie Poker um das Leben von Johnson zu spielen. Sie gewinnt durch Betrug und kann Johnson retten. Eine Woche später lauert Sheriff Rance dem Räuber erneut auf und nimmt ihn fest. Er soll gelyncht werden. Minnie kann dies in letzter Minute verhindern, indem sie an die Goldgräber appelliert und ihnen vor Augen führt, was sie alles für sie getan hat. Sie lassen von Johnson ab und Minnie verlässt das Lager gemeinsam mit ihrem Geliebten. Die verzweifelten Goldgräber bleiben allein zurück.

Puccini vertont diese Geschichte mit hoch emotionaler und dramatischer Musik. Sowohl das Orchester als auch der Gesang sind mitreißend angelegt und voller Gefühl. Stimmlich verlangt Puccini einiges, denn die Sängerinnen und Sänger müssen gegen das starke Orchester ansingen, teilweise fast schon anschreien.

Minnie und Johnsen in der Oper „La Fanciulla del West“ in Hagen

Foto: Theaterhagen

 

Perfekte Umsetzung im Theaterhagen

Das Theaterhagen setzt diese schwierige Anforderung in seiner Inszenierung hervorragend um. Das Orchester gibt vom ersten Ton an alles, es verzaubert das Publikum sofort und trägt mit Tempo und Dramatik durch die Handlung. Die Besetzung ist perfekt: Sopranistin Susanne Serfling singt sich im wahrsten Wortsinne die „Seele aus dem Leib“ und überzeugt stimmlich ebenso wie spielerisch. Sie ist eine grandiose Minnie, die für Gänsehaut-Momente sorgt. Ebenso stimmlich überzeugend ist James Lee als Räuber Ramerrez alias Johnson. Er schafft es mühelos, sich über das Orchester hinweg Gehör zu verschaffen. Sein Kontrahent, Sheriff Jack Rance, wird gesungen von Insu Hwang. Er spielt überzeugend den gefühllosen, vom Leben enttäuschten Sheriff, der Minnie in erster Linie besitzen will.

Auch das Bühnenbild und die Kostüme sind in der Hagener Inszenierung von „La Fanciulla del West“ gut gewählt. Alles ist schlammbraun und dreckig, der „goldene Westen“ ist ein durch Hitze und Schneestürme unwirtliches Land, das für die nach Glück und Reichtum suchenden Einwanderer zu einer Hölle wird. Sie sind gescheitert und desillusioniert, nur Minnie schafft es, ihnen mit ihrer Güte und Empathie in all dem Schlamm und Dreck noch Mut zu geben.

Bühnenbild des Theaterhagen mit Johnsen in Puccinis Oper „La Fanciulla del West“

Foto: Theaterhagen

 

Eine Reise nach Hagen lohnt sich

Das Theaterhagen ist für mich eine Art „Geheimtipp“. Gemeinsam mit meiner Freundin fahre ich immer wieder gern in dieses vergleichsweise kleine Haus. Es überrascht fast jedes Mal mit tollen Inszenierungen und einer besonderen Werk-Auswahl. Auch die Puccini-Oper „La Fanciulla del West“ war in jeder Hinsicht eine Überraschung: Ich kannte die Oper vorher nicht und hätte nicht erwartet, dass Hagen diese anspruchsvolle Oper so überragend umsetzt. Ein wirklich gelungener Opernabend!

Wer sich die Inszenierung nicht entgehen lassen will – zwei weitere Vorstellungen von „La Fanciulla del West“ im Theaterhagen finden am 09. Februar und 11. März 2023 statt.

Die Zauberflöte: Eine märchenhafte Oper

Von |2022-08-31T10:55:19+02:0031.08.2022|Oper|

Mozarts Zauberflöte ist eine wundersame und wunderschöne Oper, die aus meiner Sicht gut in den Rahmen des Menuhin-Festivals gepasst hat. Sie ist verträumt und verdreht, märchenhaft und durch seine moralische Botschaft auch volksnah und bodenständig. Wir haben eine halbszenische Aufführung auf der Konzertbühne erlebt. Ohne Kostüme, aber doch mit schauspielerischen Elementen.  

 

Eine Liebe zwischen Gut und Böse 

Die Geschichte der Oper sei hier kurz zusammengefasst: In einem „Fantasie-Ägypten“ steht die „Königin der Nacht“ in Konkurrenz zu Fürst Sarastro, der ihre schöne Tochter Pamina entführt hat. Um sie zu befreien, schickt die Königin den jungen Prinz Tamino in Begleitung des Vogelfängers Papageno zum Palast. Dort angekommen, treffen sich Tamino und Pamina und verlieben sich. Fürst Sarastro hat nichts gegen die Verbindung der beiden, möchte den Prinzen Tamino aber vorher auf die Probe stellen.  

Er muss verschiedene Prüfungen bestehen, um sich als gut und würdig zu erweisen. Sarastro erklärt, dass er das Gute vertrete, während die Königin der Nacht nach dem Bösen strebe. Es gelingt Tamino und Pamina, alle Prüfungen zu bestehen und sie werden ein Paar. Auch Papageno wird belohnt und erhält Papagena zur Frau. Die Königin der Nacht versucht dann selbst in den Palast einzudringen und versinkt in Finsternis. 

Sänger bei der Oper Zauberflöte beim Menuhin Festival

Beeindruckende Darstellung von Mozarts Zauberflöte 

Mit einer perfekten Besetzung bringt das Menuhin Festival diese epochale Mozart-Oper in einer halbszenischen Aufführung auf die Bühne: Das Orchester Talens Lyriques und das Ensemble Vocal de Lausanne werden von Christophe Rousset dirigiert. Der renommierte Cembalist und Dirigent sorgt für ein wunderbares Klangerlebnis. Vor allem die Leistung des Chors hat uns sehr beeindruckt. 

Die Sängerinnen und Sänger sind ebenfalls allesamt stimmlich überragend und gut ausgewählt: So überzeugt Sandrine Piau als Pamina, die sie mit viel Emotion und Ausdruck interpretiert. Kalt und unnahbar steht ihr Rocío Pérez gegenüber, die in der Rolle der Königin der Nacht ebenfalls überzeugt. 

Besonderer Publikumsliebling ist Papageno: Der lustige Vogelfänger wird von Christoph Filler mit viel Humor und Einsatz gespielt und gesungen. Auch die anderen Männerrollen sind wunderbar ausgewählt und überzeugen gesanglich und schauspielerisch. Zu erwähnen sind hier u.a. Alexander Köpeczi als Sarastro und Jeremy Ovenden als Tamino. 

Sängerin bei der Oper Zauberflöte beim Menuhin Festival

Premiere einer halbszenischen Aufführung und ein wunderbares Klangerlebnis

Für mich ist es die erste halbszenische Aufführung, die ich erlebe. Ich finde dieses Format sehr spannend, da Orchester und Sänger*innen auf Augenhöhe agieren. Es muss den Protagonisten gelingen, schauspielerisch durch die Oper zu führen, ohne zu viel Raum einzunehmen. Die Interaktion zwischen Orchester und Sänger*innen ist dabei sehr intensiv und führt zu einem besonderen musikalischen Erlebnis. 

Für mich ein gelungener Abend, der mir sicherlich lange in Erinnerung bleiben wird. 

Eine preisgekrönte Inszenierung von Don Giovanni in Essen

Von |2022-06-08T17:11:31+02:0008.06.2022|Oper|

Es war eine sehr spontane Entscheidung, am Pfingstwochenende ins Aalto-Theater in Essen zu fahren. Unser Sohn hat im Musikunterricht Don Giovanni behandelt und wollte die Oper unbedingt sehen. Da in Essen an Pfingsten die letzte Aufführung der Mozart-Oper für diese Saison zu sehen war, haben wir uns noch kurzfristig Karten für die Vorstellung besorgt. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte.

Don Giovanni hatte ich schon in Lyon gesehen, damals allerdings in einer Inszenierung, die mich nicht überzeugt hatte. Nun war ich auf Essen gespannt: Hier lief die Wiederaufführung einer Inszenierung von 2007, mit der Stefan Herheim damals von der „Opernwelt“ zum Regisseur des Jahres gewählt wurde. Wir hatten also große Erwartungen an diesen Abend.

Ein Frauenverführer und sein Diener auf der Jagd

Die Handlung der Oper erzählt die Geschichte des Frauenverführers Don Giovanni. Er und sein Diener Leporello versuchen mit allen Mitteln, ständig und unermüdlich neue Geliebte für Don Giovanni aufzutun und zu verführen. Zu Beginn der Oper dringt die Titelfigur bei Donna Anna ein und belästigt sie. Jedoch kann sie sich von ihm befreien und ruft nach Hilfe. Ihr Vater, der Comte, wird von Don Giovanni im Kampf getötet, als er Donna Anna zur Hilfe eilt. Das berührt den Verführer wenig, er stürzt sich gleich in das nächste Abenteuer, bei dem er zu spät merkt, dass es sich um eine seiner vielen Verflossenen handelt. Also sucht er weiter und stößt auf ein junges Bauernpaar kurz vor der Hochzeitsfeier. Rücksichtslos macht er sich an die Braut heran. Obwohl Leporello von der Morallosigkeit und Zügellosigkeit seines Dienstherrn entsetzt ist, unterstützt er ihn immer weiter in seinen Verführungsplänen. Viele Verwicklungen nehmen ihren Lauf und die Handlung ist recht turbulent und bunt, bis am Ende die Statue auf dem Grab des Comte lebendig wird und Don Giovanni in die Hölle befördert.

Erotik-Sünden in kirchlichem Kontext

Stefan Herheim hatte die Idee, die Geschichte in einen kirchlichen/klösterlichen Rahmen zu versetzen. Leporello trägt das Ornat eines Pfarrers, das Bühnenbild stellt eine Kirche dar, die „Liebeshöhle“ ist der Beichtstuhl. Damit wird die unbändige Liebeslust von Don (San?) Giovanni in einen göttlichen Kontext gesetzt und Erotik als religiöses Phänomen stilisiert. Für mich, im Kontext der Berichte über sexuelle Übergriffe katholischer Kirchenmitarbeiter, ist die Inszenierung auch ein stückweit als Kirchenkritik zu verstehen.

Dynamische Inszenierung für vielseitige Interpretationen

Egal, wie man es deutet: Das Bühnenbild und die Kostüme passen gut zu der vielschichtigen Handlung der Oper, denn auch sie sind äußerst vielseitig angelegt und lassen viel Raum für Interpretation. Besonders gelungen finde ich die große Dynamik und das rasante Tempo der Inszenierung. Die dreieinhalbstündige Oper wird an keiner Stelle langweilig: Das sich ständig bewegende Bühnenbild und der häufige Kostümwechsel sorgen für immer neue Eindrücke. Die Wiederholungen, welche die Mozart-Oper durchaus hat, werden dadurch nicht zu unangenehmen Längen, sondern lassen den Zuschauer jederzeit gebannt der rasant in Szene gesetzten Handlung folgen.

Ausgesprochen bewegende Charaktere mit lebhaftem Orchester

Überzeugend und emotional überaus berührend sind an diesem Abend auch die Interpreten: Die Titelrolle singt Bariton Modestas Sedlevičius, der nicht nur als Sänger toll „performt“, sondern auch schauspielerisch seine Sache großartig macht. Gleiches gilt für Leporello, überzeugend dargestellt und gesungen von Almas Svilpa. Ebenfalls sehr beeindruckend war für mich die Leistung der Donna Anna (Simona Šaturová) und der von Don Giovanni verlassenen Donna Elvira (Karin Stroboss). Ihre Arien-Auftritte haben mich regelrecht angerührt und sehr begeistert.

Insgesamt war die gesamte Oper sehr stimmig und überzeugend besetzt. Lob gebührt außerdem dem Orchester, dass sehr temporeich und mit viel Enthusiasmus durch die Oper geführt hat.

Sehr schade, dass es keine weitere Aufführung gibt, auf die ich Euch hinweisen kann. Aber vielleicht nimmt das Theater Essen die Inszenierung in der nächsten Zeit noch einmal ins Programm. Es wäre sicher lohnend.

Irrelohe Oper Lyon: Mit Wumms und toll gespielter Titelfigur

Von |2022-05-11T13:51:32+02:0021.03.2022|Oper|

An einem Wochenende gleich zweimal die Oper besuchen: Das hatten wir bisher noch nicht. Aber wir nehmen das Angebot, an aufeinanderfolgenden Tagen zu den Premieren zu gehen, an. Und wir sehen zwei Stücke, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Nach Verdis Rigoletto, einem absoluten „Kassenschlager“ mit unzähligen Aufführungen, erwartet uns am zweiten Tag die erst vor ein paar Jahren wiederentdeckte und bislang kaum gespielte Oper „Irrelohe“. Sie stammt aus den 1920er-Jahren und ist von Franz Schreker. Die Inszenierung in Lyon war vor allem ein bombastisches Orchesterspektakel.

Vielleicht liegt ein Grund für die seltenen Aufführungen von Irrelohe in dem sehr fordernden Gesangspart. Zumindest hatte ich den Eindruck, dass man ganz schön viel Stimme und Können braucht, um gegen die gewaltige Orchestermusik „ansingen“ zu können (wobei ich das als musikalischer Laiin natürlich nicht kompetent beurteilen kann).

Jedenfalls ist es sehr schade, dass diese Oper so selten zu sehen ist, denn das ausverkaufte Haus und der jubelnde Applaus in Lyon haben deutlich belegt, dass Franz Schrekers Werk viel zu bieten hat.

Die Handlung

Sie ist skurril und trägt dem Titel Rechnung: Es geht um Irrsinn und einen grauenvollen Fluch, der seit Generationen auf Schloss Irrelohe lastet. Seit der Verbindung eines verrückten Mannes mit einem Wassergeist sind alle Grafen auf Irrelohe dazu verdammt, irgendwann dem Wahnsinn zu verfallen, eine Frau zu vergewaltigen und anschließend umnachtet zu sterben. Auch der alte Graf hat an seinem Hochzeitstag vor 30 Jahren das Mädchen Lola aus dem Dorf vergewaltigt und ist bald darauf gestorben. Sein Sohn, der junge Graf Heinrich, versteckt sich deshalb in seinen Büchern und verlässt das Schloss kaum. Lola ist inzwischen die Schankwirtin des Ortes am Fuß des Schlosses.

 

Ihr Sohn Peter kennt seinen Vater nicht und hat keine Ahnung, dass er aus der damaligen Vergewaltigung hervorging. Er liebt die Förstertochter Eva, die einzige, zu der er Kontakt hat. Eva jedoch erwidert diese Liebe nicht. Sie begegnet Heinrich und verliebt sich in ihn. Und Eva glaubt daran, ihren geliebten Grafen vor dem Fluch retten zu können, indem sie ihn heiratet.

Während die Dreiecksgeschichte ihren Lauf nimmt, wird erzählt, dass im Ort immer wieder Brände gelegt werden. Man erfährt, dass dafür der ehemalige Verlobte von Lola, der Musikant Christobald, verantwortlich ist. Das große Finale ist die Hochzeit von Eva und Graf Heinrich: Beim Tanz des Brautpaars fällt Peter, der den Wahnsinn seines Vaters geerbt hat, über Eva her und versucht, sie zu vergewaltigen. Graf Heinrich tötet ihn daraufhin, obwohl er inzwischen weiß, dass Peter sein Bruder ist. Während Christobald das Schloss in Brand steckt, sehen Eva und Heinrich Licht am Horizont.

Passende Inszenierung für einen außergewöhnlichen Inhalt

Regisseur David Bösch hat für diese verrückte Geschichte einen sehr passenden Rahmen gefunden. Ohne zu stark zu überziehen, bringt er die Atmosphäre von Horror und Grusel auf die Bühne. Das Bühnenbild ist düster, aber sehr passend, und es wird viel aus bekannten Horror- und Gruselfilmen zitiert. So erinnert der Butler an den buckligen Diener aus „The Rocky Horror Picture Show“. Die weißblonden Haare von Graf Heinrich lassen an Harry Potters bösen Gegenspieler Malfoy ebenso denken wie an Graf Dracula. Der Chor hat das Aussehen einer Geisterschar mit tiefschwarzen Augenringen.

 

Wie am Tag zuvor bei der Inszenierung der Oper Rigoletto von Axel Ranisch, so nutzt auch David Bösch den Film als ergänzendes Medium. Er zeigt auf der Leinwand die immer irrer werdenden Träume von Peter und die Visionen des Unheils, das sich androht. Seine Filmausschnitte sind ein Zitat der Entstehungszeit der Oper: Sie werden als krisselige Schwarz-Weiß-Bilder mit Texttafeln präsentiert – also ganz im Sinne eines alten Stummfilms.Die gesamte Inszenierung von David Bösch ist stimmig und nimmt sich zurück. Man hat den Eindruck, dass Bösch mit der Oper sehr behutsam umgeht. Das hat mir gut gefallen, denn so bleibt sehr viel Raum für die Handlung und die Figuren. Was mich allerdings gestört hat: Dass Bösch das Happy End dieser verrückten Geschichte nicht stehen lässt, sondern „seine Eva“ am Ende Selbstmord begeht. Das fand ich unnötig und irgendwie deutlich weniger interessant als das von Schreker vorgesehene positive Ende.

Überzeugendes Schauspiel, starke Stimmen

Den zuvor benannten Raum der Inszenierung verstehen vor allem die Hauptfiguren sehr gut zu nutzen. Julian Orlishausen als Peter zeigt eine enorme schauspielerische Leistung. Er schafft es tatsächlich, innerhalb der zweistündigen Oper durch sein Spiel die Wandlung des leicht grummeligen, aber netten jungen Mannes zum Wahnsinnigen gut nachvollziehbar und sichtbar zu machen. Auch Ambur Braid setzt ihre Rolle als selbstbewusste und starke Eva sehr überzeugend in Szene. Gleiches gilt für Tobias Hächler als Graf Heinrich.

 

Genauso bewundernswert wie die spielerische Leistung ist für mich allerdings – wie schon erwähnt – der gesangliche Part. Die drei Hauptpersonen singen unglaublich stark und haben – im Gegensatz zu den übrigen Rollen – scheinbar kein Problem, sich gegen den sehr voluminösen Orchesterklang durchzusetzen.

Fulminate Musik

Franz Schreker hat für Irrelohe eine wunderbar ausdrucksstarke und bombastische Musik geschrieben. Sie passt in ihrer Wildheit perfekt zur Geschichte und hat die Wirkung moderner Filmmusik. Eine Musik, die man nach meinem Verständnis nur schwerlich leise und verhalten spielen kann, sie braucht einen gewissen „Wumms“. Der auf neue Musik spezialisierte Dirigent Bernhard Kontarsky hat das jedenfalls genauso gesehen, denn er hat mit seinen Musikern ordentlich „Gas gegeben“. Umso fantastischer, dass es die Hauptfiguren geschafft haben, gesanglich mitzuhalten.

Alles in allem war auch die zweite Premiere in Lyon ein Erlebnis besonderer Art und auch hier ist meine Empfehlung: Unbedingt anschauen!

Die weiteren Termine finden sich hier.


Fotos: © Stofleth

Vom Filmemacher zum Opernregisseur: Interview mit Axel Ranisch

Von |2022-05-11T12:21:14+02:0021.03.2022|Oper|

Filmemacher, Buchautor, Opernregisseur – Axel Ranisch ist ein Generalist und obendrein ein sympathischer Gesprächspartner. In meinem Interview mit ihm erklärt er, wie er zur Oper fand, was eine gute Inszenierung für ihn ausmacht und warum ihm Buh-Rufe sehr nahe gehen.  

Wir haben uns vor der Opernpremiere des Rigoletto in Lyon zu einem Gespräch verabredet. Im Konferenzraum im obersten Stock des imposanten Opernhauses treffe ich auf den 38-Jährigen. Schon die Begrüßung ist äußerst herzlich und offen: Er habe die Interviewtermine nur so legen können, weil er gleich seine Familie erwarte. Ob das denn in Ordnung sei? Natürlich ist es in Ordnung, und bisher hatte sich keiner meiner Interviewpartner die Mühe gemacht, das zu fragen. 

Nicht nur gut und böse zeigen 

Ich möchte zunächst wissen, wie Axel Ranisch an eine Inszenierung herangehe, was ihm dabei wichtig sei. Der Regisseur muss nicht lange nachdenken: „Mir ist vor allem wichtig, dass die Personen in einer Oper vielschichtig sind und nicht zu holzschnittartig. Für mich gibt es nicht nur gut oder böse, das wäre auch langweilig. Auch bei der Inszenierung der Oper Hänsel und Gretel in Stuttgart hat mich das interessiert: Kann man die Hexe anders darstellen, als nur böse? Auch den Vater von Hänsel und Gretel, der ja eigentlich ein Ja-Sager ist, wollte ich etwas differenzieren.

Dabei ist dem gut gelaunten Mann mit dem Wuschelkopf daran gelegen, nicht zu kompliziert oder zu düster und sperrig zu werden: „Die Geschichte muss erhalten bleiben, Oper muss auch Spaß machen und verständlich sein. Ich denke da sehr vom Publikum aus. Hänsel und Gretel zum Beispiel ist eine Kinderoper. Da sind auch Kinder im Publikum und die sollen – trotz aller Greuel in diesem Märchen – einen schönen Abend erleben.“ 

„Rigoletto ist eine Testosteron-Oper“ 

Für Rigoletto war die Frage nach der Ausdifferenzierung der Charaktere ebenfalls zentral. Ranisch: „Die Oper wurde schon 500.000 Mal inszeniert. Da fragt man sich schon, wie geht man da am besten heran.“ Zunächst sei Rigoletto für ihn ein Problem gewesen, da die Oper „nicht in der Balance“ sei. Es gebe viel zu viele Männer und unglaublich viel Testosteron. Das Weibliche komme deutlich zu kurz.  

Um mehr Gleichgewicht herzustellen, ersann der Regisseur eine interessante Lösung: „Ich hatte sehr schnell die Idee, eine zweite Erzählebene hinzuzufügen. Verdi hat eine Menge Leerstellen gelassen, so erfährt man beispielsweise nichts über die Frau von Rigoletto, Gildas Mutter. In meiner Rahmenhandlung erzähle ich daher von Hugo, ein leidenschaftlicher Fan der Verdi-Oper, dessen Leben gewisse Parallelen zu Rigoletto aufweist. Ihm gebe ich eine Frau an die Seite, um so den Charakter (auch des Rigoletto) stärker auszuleuchten.“

Film in die Oper bringen 

Hugos Geschichte wird in erster Linie filmisch erzählt. Das ist kein Zufall, sondern liegt in Axel Ranischs Werdegang begründet. Der Berliner erzählt, warum er den Film in die Oper bringt und wie er in die Regiearbeit gekommen ist: „Ich habe immer schon die Oper geliebt, schon als Kind und Jugendlicher. Aber eine musikalische Bildung war in unserer Familie nicht im Fokus, und so bin ich erst viel zu spät mit Musik in Berührung gekommen. Ich bin ein musikalischer Laie, der sich autodidaktisch das ein oder andere beigebracht hat.“ Ranisch hatte nach seinem Abitur eine andere künstlerische Karriere für sich gewählt: Er lernte an der Filmhochschule und machte schon bald mit verschiedenen Kurzfilmen auf sich aufmerksam.  

Axel Ranisch ist sowohl Regisseur, Schauspieler, Produzent und Autor. Sein Roman „Nackt über Berlin“, der von zwei schwulen Jugendlichen erzählt, hat viel positive Resonanz erhalten. Ebenso seine filmischen Arbeiten. Das zu dieser breiten Palette an Professionen auch noch die Oper dazukommen würde, habe er sich niemals träumen lassen, so Axel Ranisch: „Ich war völlig überrascht, als sich Nikolaus Bachler, der ehemalige Intendant der Münchener Staatsoper, bei mir meldete, um mich für ein Opernprojekt zu gewinnen. Damit ging unerwartet ein Herzenswunsch in Erfüllung.“ 

Als „Quereinsteiger“ habe sich Ranisch immer gerne der Werkzeuge bedient, die er vor allem beherrscht: „Ich komme vom Film, also habe ich Film mit in die Oper genommen. Damit fühle ich mich wohl.“ Was ist für Ranisch das Besondere an Opern-Inszenierungen? „Oper ist deutlich vielschichtiger als Film. Man hat es mit einem Publikum zu tun, dass durchaus gefordert werden möchte. Dadurch kann man komplexer an Opern herangehen als an gängige Filmprojekte. Außerdem ist die Kombination aus Musik, Schauspiel und Gesang mit anderen Anforderungen verbunden: Was kann man den Sängerinnen und Sängern zumuten? Was geht schauspielerisch, was nicht? Das ist sehr interessant“, erklärt er mir.

Trotz seiner Begeisterung für das Genre Oper möchte Axel Ranisch sich darauf nicht begrenzen. Er sagt: „Ich finde es toll, wenn ich beides machen kann. Die Abwechslung gefällt mir und es geht mir gut damit.“ 

Mit Rigoletto Frankreich entdeckt 

Rigoletto ist für Ranisch die erste Arbeit in Lyon. Er habe sich sehr gefreut, als ihn Serge Dorny, der kurz davor war, nach München zu wechseln, mit seinen Arbeiten kennenlernen wollte. Das Ensemble in München sei ihm sehr ans Herz gewachsen und er war schon in Sorge, ob mit dem Weggang Bachlers die Zusammenarbeit aufhöre. Daher wollte er die Arbeit für Lyon in jedem Fall übernehmen. 

Das war vor zwei Jahren, kurz bevor Corona alle Spielstätten lahmlegte. „Das Stück lag zwei Jahre in der Schublade“, so Ranisch. Ob er es denn jetzt unverändert auf die Bühne gebracht habe? Ranisch lacht: „Nein, natürlich habe ich nochmal daran herumgefummelt. Es gab viel Überflüssiges, viele Arabesken, die ich herausgenommen habe. Ich glaube, es ist dadurch besser geworden.“ 

Mit Lyon hat Ranisch nicht nur eine neue Opernstätte, sondern zugleich auch Frankreich kennengelernt. „Ich bin überall gewesen und habe mir viel angeschaut. Und das Ergebnis ist ein neuer Weinschrank in meiner Wohnung in Berlin“, erzählt er lachend.  

Freundlichkeit und gute Laune scheinen sowieso für den 38-Jährigen von zentraler Bedeutung zu sein. So gibt er zu, dass ihm Buh-Rufe durchaus nahe gehen: „Ich möchte schon, dass meine Werke gefallen und eine positive Wirkung auf das Publikum haben. Bisher hatte ich Glück und wurde nicht ausgebuht. Das wäre mir auch nicht egal. Da bin ich sensibel.“  

Bei Rigoletto jedenfalls konnte er sich über begeisterten Applaus freuen. Das wird ihm sicher gefallen haben, vor allem weil auch seine Mutter im Publikum saß …  

Rigoletto Oper Lyon: Feuerwerk an Emotionen und grandiose Sänger

Von |2022-05-11T12:17:07+02:0019.03.2022|Oper|

Im Vorfeld der Aufführung hatten wir ein Interview mit dem Regisseur Axel Ranisch und waren daher bestens vorbereitet. Dabei hätte es dies nicht gebraucht: Die Premiere von Rigoletto ging direkt ins Herz, sowohl über die Bilder als auch über Musik und Gesang. Es war ein lustiger, trauriger, anrührender und besonderer Abend, den wir in Lyon erleben durften, und er bleibt sicherlich für längere Zeit unvergessen.

Multitalent Axel Ranisch führt Regie

Axel Ranisch hat seine Ausbildung als Filmemacher absolviert. An die Oper geriet er eher durch einen Zufall. Daher ist es nicht verwunderlich, dass seine Oper nicht ohne Leinwand auskommt. Verwunderlich ist eher, wie gut diese Mischung zwischen Film und Oper funktioniert und wie sehr das Bühnengeschehen durch die Ergänzung um Bewegtbild bereichert wird.

Nicht jedem gefällt es, wenn filmische Szenen das Bühnengeschehen überlagern oder ergänzen. Tatsächlich erntete Regisseur Axel Ranisch für seine „wilde Inszenierung“ einige Buh-Rufe – im Gegensatz zu dem musikalischen Ensemble, das sehr bejubelt wurde. Meiner Begleitung und mir gefiel dagegen Ranischs Ansatz extrem gut. Auch wenn es manchmal schwer war, dem Gewusel auf Bühne und Leinwand gleichzeitig zu folgen.

Die Handlung

Aber der Reihe nach: Mir – als Opern-Spätstarterin – war Rigoletto neu. Ich hatte diese wunderbare Oper bisher nicht gesehen und kannte auch die Musik nur in wenigen Ausschnitten. Die Handlung hier nun – wie immer – in Kurzform schnell erzählt:

Die Handlung ist wie immer schnell erzählt: Hofnarr Rigoletto hilft seinem Dienstherren, dem Frauenverführer und Herzog (Duca) von Mantua, bei seinen diversen Liebensabenteuern. Den gehörnten Ehemännern, abservierten Ehemaligen etc. gegenüber verhält er sich beleidigend und völlig mitleidlos. Als Rigoletto sogar so weit geht, eine verheiratete Frau entführen lassen zu wollen, um sie dem Duca zuzuführen, ist der Zorn der übrigen Männer im Umfeld des Herzogs geweckt. Sie wollen sich rächen, indem sie die vermeintliche Geliebte des Rigoletto entführen lassen. Es handelt sich jedoch um dessen vor dem Herzog und der Welt versteckte Tochter Gilda. Sie wird tatsächlich anstelle des eigentlichen Opfers entführt, verliebt sich in den Duca und wird von ihm entehrt. Rigoletto ist am Boden zerstört. Er plant, dass seine Tochter als Mann verkleidet die Stadt verlässt, während er den Herzog durch einen gedungenen Mörder töten lässt.

Doch auch des Mörders Schwester war die Geliebte des Herzogs und ist ihm zugewandt. Sie überredet ihren Bruder, einen anderen an seiner Stelle zu töten und als Leiche in einem Sack zu präsentieren. Der Bruder folgt ihrem Vorschlag und ersticht anstelle des Frauenhelden die erste Person, die ihm begegnet: die in Männerkleidung getarnte Tochter Gilda. Rigoletto schaut in den Leichensack und entdeckt dort sein geliebtes Kind, das in einem musikalisch fulminanten Finale in seinen Armen stirbt.

Gekonnt kunstvolle Inszenierung mit verzeihbarer Schwäche

Axel Ranisch hat dieser Geschichte einen Erzählrahmen hinzugefügt. Seine Inszenierung beginnt in den Plattenbauten von Berlin. Dort sitzt in einer Wohnung ein einsamer und sehr trauriger Rigoletto-Fan mit Namen Hugo. Er wird auf bühnenbreiter Leinwand gezeigt, wie er in einer tristen, engen Wohnung eine Rigoletto-Videokassette in den Rekorder steckt und seine Herzensoper startet. Während auf dem Fernsehen die Oper beginnt (tatsächlich wird über eine Kamera der Auftritt des Dirigenten gezeigt), greift Hugo zum Revolver, um Selbstmord zu begehen.

Danach wechselt die Szene auf die eigentliche Bühne, die ebenfalls ein Berlin der 80er-Jahre zeigt: Dunkle verkleinerte Hochhaus-Bauten, Punks und wilde Rocker füllen die Bühne. Der Graf gibt eine Party, und es wird wild getanzt und gefeiert. Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Parallel erscheint in einem offenen Raum Hugo auf seinem Sofa. Er scheint in die Handlung geworfen zu sein und mäandert während der gesamten Aufführung über die Bühne. Wie ein Geist, der von den anderen zwar wahrgenommen, aber nicht eigentlich gesehen wird, versucht er, das Schlimmste zu verhindern, was ihm aber nicht gelingt.

Während Rigoletto seinem grauenvollen Schicksal entgegenläuft, wird über zwischenzeitlich herabgelassene Leinwände das Leben von Hugo erzählt. Beide haben eine ähnliche Geschichte: Sie sind alleinerziehend und versuchen mit allen Mitteln ihre Töchter zu beschützen, die sich der Enge ihrer Obhut entziehen. Bei Rigoletto endet dies mit dem Tod der Tochter, bei Hugo mit dem eigenen Selbstmord.

Eine tolle szenische Idee, da durch diese Rahmenhandlung auch Rigoletto vielschichtiger und „tiefer“ erscheint und die Motive seiner Handlungen klarer werden. Alle Figuren in Verdis Oper wirken emotionaler, indem sie um diese filmische Parallelgeschichte ergänzt werden.

Allerdings haben für uns einige der Filmszenen das Geschehen auf der Bühne fast zu stark überlagert. Vor allem die Episode, in der erzählt wird, wie Hugo seine Frau bei der Geburt der Tochter verlor, wird auf so großer Leinwand gezeigt, dass das wunderschöne und anrührende Duo von Rigoletto und Gilda auf der Bühne in den Schatten gerät. Insgesamt hat uns aber die Idee dieses „Medienmixes“ sehr gut gefallen.

Starke Stimmen und ein herausragendes Orchester

Abgesehen von der Inszenierung haben aber auch Sänger*innen und Orchester ungeheuer begeistert. Selten habe ich so gut besetzte und stimmgewaltige Hauptdarstellerinnen und -darsteller erlebt. Verdis Musik ist grandios, das Orchester trug dem Rechnung. Der Chor war einfach großartig und die Hauptstimmen trafen direkt ins Herz.

Besonders nahe ging mir Gilda, gespielt von Nina Minasyan. Sie hat einen glockenklaren Sopran, ihre Ausstrahlung ist unglaublich und man konnte sich der Emotion, die sie ausstrahlte, nicht entziehen. Nicht weniger eindrucksvoll aber auch Rigoletto (Dalibor Jenis). Ein gewaltiger Kerl mit gewaltiger Stimme. Toll! Und in gleicher Qualität die dritte Figur: der Graf von Monterone, gesungen und gespielt von Roman Chabaranok. Er überzeugte als den Frauen verfallener Gigolo, der sich bei all seinen Seitensprüngen ganz und gar unschuldig fühlt, da er „nicht anders kann“. Auch er ideal besetzt und mit einer wunderbaren Stimme.

Allen Darstellern und der Inszenierung gelang es, sowohl Witz und Humor als auch Tragik und Gefühl in diese zwei Stunden zu packen. Die Zeit verging im Flug und man fühlte sich wie auf einer emotionalen Achterbahn. Der donnernde Applaus am Ende war durchaus begründet: Es war ein besonderer Abend!

Es lohnt, dafür eine Reise in die wunderbare Stadt Lyon zu machen! Die Aufführung kann noch bis zum 7. April besucht werden.

Hänsel und Gretel in der Oper Stuttgart: Bildgewaltig und sehr unterhaltsam

Von |2022-04-28T10:23:44+02:0008.02.2022|Oper|

Vergangenes Wochenende bin ich der Einladung der Staatsoper Stuttgart gefolgt und habe gemeinsam mit meiner erwachsenen Tochter die Premiere von Engelbert Humperdincks Oper Hänsel und Gretel besucht, inszeniert von Axel Ranisch.

Ich kannte Humperdincks Oper bislang nicht, obwohl sie häufig als „Kinderoper“ aufgeführt wird. Außerdem war ich auf die Inszenierung von Axel Ranisch gespannt, der als Film-, Theater- und Opernregisseur schon sehr viele spannende Projekte vorzuweisen hat. Wir haben den Opernbesuch also auf eine kleine Wochenend-Reise ausgedehnt und bei sehr mäßigem Wetter Stuttgart besucht.

Die Premiere war am Sonntag um 17 Uhr. Durch die frühe Uhrzeit war die Vorstellung auch für Kinder bestens geeignet, dennoch überwogen die erwachsenen Besucherinnen und Besucher. Das Opernhaus war ausgebucht, was in diesen Zeiten ein seltener Anblick ist. Durch 2G und Maske fühlte man sich dennoch sehr sicher.

Aufgeführt wurde im Staatstheater, einem recht prunkvollen Gebäude, das ursprünglich 1909 bis 1912 von Max Littmann erbaut und in den 1980er Jahren restauriert wurde. Derzeit wird gerade die erneute Sanierung des Gebäudes geplant, das vor allem in seiner technischen Ausstattung nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Das Staatstheater liegt wunderbar zentral und war von unserem Hotel aus fußläufig gut zu erreichen.

Der Märchenklassiker als Untergangszenario

Die Handlung von Hänsel und Gretel muss an dieser Stelle nur kurz erzählt werden, denn die kennen wohl die meisten von uns. In der Oper von Humperdinck ist sie in drei Bildern zusammengefasst, die recht straff durch die Geschichte führen: In Akt 1 sind die Kinder allein zu Hause und warten auf die Eltern. Statt die aufgetragenen Arbeiten zu erledigen, spielen und tanzen sie, bis die Mutter sie erzürnt überrascht. In Akt 2 werden die Kinder in den Wald geschickt, um Erdbeeren zu suchen und verirren sich dort in der hereinbrechenden Nacht. Die Eltern machen sich mittlerweile Sorgen und gehen auf die Suche nach ihnen. Akt 3 schließlich zeigt das Zusammentreffen mit der Hexe, die die Kinder essen will, aber durch Gretels Schlauheit selbst im Backofen landet.

Axel Ranisch hat Humperdincks Oper temporeich umgesetzt und beeindruckt uns mit einem imposanten und märchenhaften Bühnenbild. Schon zu Beginn während der achtminütigen Ouvertüre zieht uns das Geschehen auf der Bühne in Bann: Es wird auf riesiger Leinwand über die gesamte Bühnenbreite und -höhe ein Animationsfilm gezeigt, der auf Ranischs Interpretation der Oper einstimmt. Gezeigt wird eine langsame Kamerafahrt durch einen Wald, in dem Müll lagert, der teilweise in Flammen steht. Es ist ein Endzeitdrama, das Ranisch heraufbeschwört, in dem die kinderfressende Hexe mit ihrer makabren „Lebensmittel-Produktion“ – einer speziellen Bonbon-Fabrik – die Einzige ist, die genug zu essen produzieren kann.

Viel schwarzer Humor und wunderbare Bilder

Obwohl das alles sehr schauerlich klingt, hat Ranisch seine Inszenierung mit viel Humor und einem Augenzwinkern umgesetzt. Der düstere Wald wirkt immer auch schön, vor allem die aus hängenden Stoffbahnen herausgeschnittenen Bäume haben mir sehr gefallen. Das gesamte Bühnenbild ist ästhetisch sehr gut gelungen und wirkt stimmig, bei allem Grusel jederzeit auch ein wenig skurril-witzig. Auch die Lichteffekte sind perfekt gesetzt und tauchen das Geschehen in wunderbare Farben.

Besonders das Hexenhaus und ihre Drops-Produktion sind poppig bunt und mit viel Sinn für schwarzen Humor ins Bild gesetzt. Im Hintergrund sieht man die „Lebensmittelproduktion“:  Die Kinder werden mit Roboterarmen in die Produktion befördert und enden als bunte Bonbons in einer gläsernen Röhre. Die Hexe selbst wird dargestellt als smarte Business-Frau, die gute Geschäfte mit den aus Kindern produzierten süßen Drops zu machen scheint.

Schwungvolle Orchestermusik und gute Sänger*innen

Neben diesem optischen Feuerwerk gehen die Protagonisten in keiner Weise unter. Vor allem die Hauptfiguren Hänsel und Gretel haben mich sehr überzeugt. Josefin Feiler spielt und singt Gretel als emotionales und zugleich „taffes Mädchen“, das sich gegen die Hexe zu wehren weiß. Und Mezzosopran Ida Ränzlöv gibt einen leichtsinnigen und verspielten Hänsel, der es im Vergleich zu seiner Schwester an Vernunft etwas fehlen lässt. Beide haben toll gesungen und passten sehr gut in die Inszenierung.

Ebenfalls sehr überzeugend und sympathisch wirkte auf meine Tochter und mich die Besetzung der Eltern. Shigeo Ishino spielt einen sehr sympathischen Vater, allerdings wirkt sein Charakter fast zu positiv, da er zum einen als Trinker, zum anderen in der Jacke der Hexen-Helfer auch als Teil des Systems gezeigt wird. Catriona Smith als Mutter füllt ihre Rolle der bitterarmen Frau ebenfalls sehr gut aus. Gleiches gilt für die Hexe, gesungen von Rosie Aldrige.

Einen tollen Job haben auch Orchester und Chor gemacht. Das Dirigat von Alevtina Ioffe war schwungvoll und wuchtig, passend zum bombastischen Geschehen auf der Bühne.

Uns hat der vergleichsweise kurze Opernabend (knapp zwei Stunden) sehr viel Spaß gemacht. Trotz aller Untergangsszenarien hat Ranisch Humperdincks Oper mit leichter Hand inszeniert und uns mit so viel guter Laune versorgt, dass uns auch die Untergangsstimmung draußen mit Sturm und peitschendem Regen die Stimmung an diesem Abend nicht trüben konnte.

Schaut es Euch gerne selbst an! Weitere Vorstellungen findet Ihr auf der Website der Oper Stuttgart.


Bilder: Matthias Baus

Festspiele Immling: Interview mit der musikalischen Leiterin Cornelia von Kerssenbrock

Von |2022-04-28T10:41:27+02:0023.10.2019|Oper|

Wie kommt man auf die Idee, einen Gnadenhof für Pferde zu einer Opern-Spielstätte zu machen? Was ist das Besondere an den Opernfestspielen in Immling neben der außergewöhnlichen Spielstätte? Und wie begeistert man junge Menschen für die Oper? Diese und ähnliche Fragen beantwortete Cornelia von Kerssenbrock in einem Gespräch mit mir am Rande der vergangenen Opernfestspiele.

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Opern-Spielpläne in NRW: eine Datenanalyse

Von |2022-05-11T14:18:34+02:0017.07.2019|Digitalkultur, Oper|

Für mich als Marktforscherin sind Zahlen, Daten, Fakten immer besonders spannend. Jetzt bin ich auf ein Angebot unter wdr.de hingewiesen worden, das genau darauf spezialisiert ist. Unter dem Titel »Daten sichtbar machen« stellt der WDR zu verschiedenen Themen Beiträge bereit, die spannende Erkenntnisse liefern.

Leider ist es hier wie bei vielen Angeboten vom Öffentlich-Rechtlichen im Netz: Man findet derartige Informationen kaum oder gar nicht und muss viel Glück haben, um sie in seine Social Media-Timelines »gespült« zu bekommen. Zudem existiert der Bereich »Data« innerhalb der Top-Navigation des Senderportals gar nicht, sondern ist ein »versteckter« Bereich der Untersparte »Digital« in der Rubrik »Verbraucher«.

Ein besonderes Highlight aus der genannten Rubrik ist für mich als Opernliebhaberin der gestern veröffentlichte Beitrag über die Opernlandschaft in NRW. Hier wird deutlich gemacht, wie umfangreich und zugleich eingeschränkt das Opernangebot in unserem Bundesland tatsächlich ist.

Zu diesem Zweck wurden sämtliche Opernaufführungen aus NRW im Zeitraum 2018/1019 analysiert. Es waren über 1.000 Aufführungen, die in die Analyse eingeflossen sind.

Das Ergebnis: Es gibt ein sehr umfangreiches Opernangebot in NRW. Mit drei (!) Aufführungen pro Tag kann man als Fan der Oper in NRW seiner Leidenschaft tatsächlich frönen. Denn – so meine Erfahrung – die meisten Spielstätten liegen von Köln aus selten weiter als eine Stunde Fahrzeit entfernt.

Auf der anderen Seite sind es meist die bekannten und beliebten Opern, die auf den Spielplan kommen. So konnte man die Zauberflöte 73 Mal sehen, Mozart insgesamt 118 Mal. Angeführt wird die Hitliste mit 143 Verdi-Aufführungen.

Schaut man bei den jeweiligen Entstehungsjahren in den Zeitraum vor 1800 und nach 1900, dünnt das Angebot merklich aus. Vor allem lebende Komponisten kommen mit gerade mal 9 Prozent sehr selten zum Tragen. Dortmund ist unter den NRW-Opernhäusern dabei das »lebendigste«. Hier leben immerhin noch ein Drittel der Komponisten, deren Werke zur Aufführung kamen.

Insgesamt ein spannendes Bild, was die WDR-Recherche da zu Tage fördert. Und schön aufbereitet sind die Ergebnisse überdies. Schade, dass man solche datenjournalistischen Beiträge viel zu selten findet, wenn man im Netz nach Informationen sucht.

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