Kölner Barcamp „Ökologische Nachhaltigkeit in der Kultur“

Von |2023-09-21T18:41:27+02:0021.09.2023|Unterwegs|

Am 1. September fand das erste Barcamp „Ökologische Nachhaltigkeit in der Kultur“ statt. Geladen hatte die Kulturentwicklungsplanung (KEP) der Stadt Köln. Deren Ziel es ist, Perspektiven und Ziele zu erarbeiten, mit welchen die Kölner Kunst und Kulturszene gestärkt und gefördert werden kann. Wir sind der Einladung hierzu gerne gefolgt.

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Sie prägt zunehmend jeden Bereich unseres Lebens, und die Kultur bildet da keine Ausnahme. Umso erfreulicher, dass die Stadt Köln das Thema im Rahmen der 2019 beschlossenen Kulturentwicklungsplanung kontinuierlich unterstützen will. Unter anderem in Form eines Barcamps. Als Veranstaltungsort wurde das Bürger- und Kulturzentrum Stollwerck in der Kölner Südstadt gewählt.

Foyer des Barcamps der Kulturentwicklungsplanung in Köln.

Zum Auftakt erklärte Stefan Charles, Beigeordneter für das Dezernat Kunst und Kultur, dass ein Aktionsnetzwerk aus Berlin die Stadt Köln im Projekt „Köln hoch 3 – Kultur weiterbilden, bilanzieren, transformieren“ bereits unterstützt hat und auch weiterhin begleiten wird. Das Barcamp markierte tatsächlich den offiziellen Start von „Köln hoch 3“. Für dieses Projekt hat das Dezernat eigens eine Stelle eingerichtet. Ziel ist es, Ausstellungen und Aufführungen in unserer Stadt klimafreundlicher zu gestalten. Beteiligt sind insgesamt 18 Kölner Kulturstätten.

Um einen tieferen Einblick in das Thema zu gewähren, folgte im Anschluss ein kurzer, aber aufschlussreicher Impulsvortrag von Dr. Carolin Baedecker vom Wuppertal Institut für anwendungsorientierte Nachhaltigkeitsforschung, einer wissenschaftlichen Einrichtung des Landes NRW. Die Mission des Instituts liegt darin, durch Realexperimente die Forschung an der Schnittstelle von Praxis und Theorie zu fördern.

Ein besonders prägnanter Aspekt ihres Vortrags war der Hinweis auf die Bedeutung, den Klimawandel greifbarer und intuitiver zu machen. Als Beispiel führte sie die „Warming Stripes“ von Ed Hawkins aus dem Jahr 2016 an. Jeder farbige Streifen repräsentiert dabei die durchschnittliche Jahrestemperatur im Vergleich zum Durchschnitt des 20. Jahrhunderts: Blau symbolisiert kältere, Rot wärmere Jahre. Hawkins Designkonzept stieß auf große Resonanz und führte zu einem regelrechten Trend. Seither sind zahlreiche Produkte im „Warming Stripes“-Design erhältlich, darunter Bettwäsche, Handtücher, Flipflops und vieles mehr.

 

Vortrag zum Thema Klimawandel und Climate Stripes der Kulturentwicklungsplanung in Köln.

Im Weiteren hob Dr. Baedecker die Bedeutung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele hervor. Besonders im Blickpunkt der Kultur stehen die Ziele Nummer 12 („Nachhaltiger Konsum & Produktion“) und 17 („Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“). In Hamburg beispielsweise initiierten Kulturbetriebe das Projekt „Elf zu Null – Hamburger Museen handeln“. Mit Hilfe von Experten legten die beteiligten Museen ihre CO2-Bilanzen fest, um eine nachhaltige Veränderung herbeizuführen. Ein weiteres Projekt, das Dr. Baedecker in diesem Zusammenhanf hervorhob, realisierte die Oper Wuppertal, die in Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut ein Selbstanalyse-Tool für die Nachhaltigkeitsbewertung kreierte.

 

Das Thema Nachhaltigkeit kunstvoll inszenieren

Auch die Kunst selbst kann das Thema Nachhaltigkeit in ihren Fokus rücken, wie Carolin Baedecker weiter ausführte. Der erste, der dies eindrücklich tat, war Joseph Beuys, als er 1982 im Rahmen der documenta 7 den Gedanken „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ prägte, um die Bedeutung von Natur und Ökologie im urbanen Raum zu betonen. Beispiele aus der Gegenwart sind das Schauspielhaus Bonn, welches das Buch der Transformationsforscherin Maja Goepel auf die Bühne gebracht hat, oder auch die Ausstellungen „Ökorausch“ und „Between the Trees“ des Kölner Museums für Angewandte Kunst (MAKK). Bei all diesen Realexperimenten gehe es darum, den Raum für den Menschen mit der Natur neu erfahrbar zu machen und so den Dialog zwischen Mensch und Natur durch Kunst und Kultur neu zu definieren. Viele weitere Beispiele zu „Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit“ finden sich auf der gleichnamigen Website.

Dr. Baedecker machte aber auch klar: Um eine nachhaltige Neuausrichtung im Kunst- und Kultursektor zu bewirken, sind sowohl Raum als auch finanzielle Unterstützung unabdingbar. In Sachen „Raum“ hat das Wuppertal Institut in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Design und Kunst der Bergischen Universität Wuppertal und 14 weiteren Partnern, darunter creative.nrw, die Kooperationsplattform Transform.NRW ins Leben gerufen. Dort sollen die Kräfte von Kunst, Kultur und Design gebündelt werden, um nachhaltige Entwicklungen voranzutreiben.

 

Nachhaltigkeit braucht positive Zukunftsbilder

Der zweite Impulsvortrag nahm dann nochmal eine andere Perspektive ein. In ihrer Keynote „Die Kunst der Transformation: Wie sich Kunst, Wissenschaft & Innovation verbinden lassen, um die größten Herausforderungen der Welt zu bewältigen“ stellte Nicole Loeser heraus: Bei den Budgetierungen für nachhaltige Konzepte gibt es unterschiedliche Bewertungen. Die Kultur komme meist zuletzt, die Wirtschaft zuerst. Dabei sei die Kunst wesentlich, wenn es um das Darstellen und kritische Hinterfragen gehe. Aufgabe der Wissenschaft sei es, dazu zu forschen. Bleibt die herausfordernde Frage: Wie bekommt man Kultur, Wissenschaft und dann noch die daraus resultierende Innovation zusammen? Nicole Loeser appellierte in ihrem Vortrag dafür, systemisch zu denken und neue Ideen zur Schaffung von Kooperation zu entwickeln. Aus dieser Motivation heraus hat sie das Institute for Art and Innovation (IFAI) in Berlin mitgegründet. Dort kreieren multistake Kooperationen auf EU-Ebene große Visionen. Im Rahmen des IFAI-Projekts „Art for Futures Labs“ etwa würden positive Zukunftsbilder geschaffen. In den Workshops zeige sich deutlich, so Loeser, dass den Teilnehmenden dies kaum noch gelinge – auch, weil ihnen das Wissen über innovative Konzepte schlicht fehle. Genau da setzt ein weiteres Projekt von IFAI namens „Green Education in Media“ an. Denn, so eine weitere Erfahrung von Nicole Loeser: Bei den Lehrenden an unseren Hochschulen fehle es häufig an Wissen zu neuer Technik und neuen Formaten.

Mit ihrem persönlichen Statement „Kunst ist die Wissenschaft der Freiheit“ und dem Hinweis auf den Satz von Gerhard Richter „Kunst ist die höchste Form der Hoffnung“ (Gerhard Richter) rundete Nicole Loeser ihren eindrucksvollen Vortrag ab.

 

Veranstaltung der Kulturentwicklungsplanung in Köln.

 

Nachhaltige Konzepte und Ideen in die Kommunikation miteinbeziehen

In nahezu allen Sessions, an denen ich teilnahm, war das Thema „Kommunikation“ präsent. Einige Mitarbeitende der Kölner Kulturbetriebe überlegten, wie die Öffentlichkeit ihre Bestrebungen hin zu mehr Nachhaltigkeit wohl wahrnehmen und ob sie ausreichend informiert würden. Andere zweifelten, ob die Publika daran denn überhaupt interessiert seien. Viele waren aber überzeugt, dass Social Media ihnen eine unschätzbare Möglichkeit bietet, Gäste und Besuchende auf ihrem Weg zu einer nachhaltigen Kunst- und Kulturlandschaft in Köln mitzunehmen. Dem stimme ich voll und ganz zu. Dank Plattformen wie Instagram können Kulturstätten sowohl neue als auch jüngere Zielgruppen ansprechen und gleichzeitig ältere Generationen für den gesellschaftlichen Impact des Themas sensibilisieren.

Besucher*innen von Kulturstätten reflektieren dabei wahrscheinlich selten, welche Ressourcen – Zeit, Energie und Geld – benötigt werden, um den Kulturbetrieb sukzessive nachhaltiger zu gestalten. Dies wurde mir selbst in der Session „Nachhaltigkeitskultur Köln in der Clubszene“ besonders bewusst. So hat beispielsweise die Initiative „Zukunft feiern“ mit ihrem „Clubtopia: Feiern, als gäbe es ein Morgen“-Ansatz ein ausführliches, kostenfreies Nachhaltigkeitskonzept für die Berliner Clubszene erarbeitet. Der daraus resultierende Code of Conduct wird von immer mehr Clubbetreiber*innen angenommen. Meiner Ansicht nach sollten die beteiligten Clubs dieses Thema fest in ihre Kommunikationsstrategie integrieren. In der Session wurde dieser von mir geäußerte Vorschlag dahingehend kritisiert, dass dies zusätzlichen Aufwand und somit Kosten verursache. Mein Gegenargument: Wenn es bereits eine gemeinsame Initiative gibt, könnte diese auch eine Art gemeinsame Kommunikationsstrategie für die Clubbetreiber*innen entwickeln – etwa durch visuelle Vorlagen, die dann von allen genutzt werden können. Auch das wäre nachhaltig.

 

Gemeinsam, kontinuierlich und strukturiert

In der Kunst- und Kulturszene ist Nachhaltigkeit mittlerweile unausweichlich. Doch wie diese Herausforderung konkret angegangen werden soll, scheint vielen noch unklar zu sein. Das überrascht mich nicht, denn ein nachhaltiges Vorgehen ist ein komplexes, anspruchsvolles und stetiges Unterfangen. Der Schlüssel liegt aus meiner Sicht im gemeinsamen Handeln und im kontinuierlichen Austausch.

Das Barcamp hat hierfür einen Ausgangspunkt geschaffen. Es hat die Bedeutung des stetigen Dialogs zwischen den Kölner Kulturbetrieben und den darin engagierten Personen hervorgehoben. Eine offene Frage für mich ist jedoch, ob es nicht auch klare Richtlinien seitens der Stadt geben sollte, die den Akteuren im Kulturbereich einen Rahmen für ihre Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit bieten. Die Gründung der Koordinationsstelle „Nachhaltigkeit in der Kultur“ könnte bereits ein Schritt in diese Richtung sein.

Kurztrip in die malerische Universitätsstadt Heidelberg

Von |2023-02-01T11:43:49+01:0001.02.2023|Unterwegs|

Viel Studierenden-Flair und eine wunderschöne Altstadt

Dank einer netten Einladung des Theaters Heilbronn war ich vergangene Woche für zwei Tage in Heidelberg. Zusammen mit meiner erwachsenen Tochter wollte ich mir die Stadt ansehen und am Abend das Theater besuchen. Die Reisezeit war wettertechnisch zwar nicht ideal, aber trotz der fehlenden Sonne hatten wir eine schöne Reise mit sehr netten Begegnungen.

Kleines Hotel mit topmodernen Zimmern – besser ohne Frühstück buchen

Angereist sind wir am Donnerstag-Abend, von Köln aus ist man in ca. drei Stunden am Ziel. Wir haben ein Zimmer im BS Boutique Hotel gebucht und können entspannt am Abend nach Rezeptionsschluss über eine Code-Nummer einchecken. Unser Zimmer ist nagelneu und sehr geschmackvoll eingerichtet. Insgesamt ist das Hotel topmodern und sehr schön renoviert. Uns gefällt es sehr gut und wir fühlen uns sofort wohl.

Das Frühstück am nächsten Morgen ist allerdings eher enttäuschend. Da das Hotel nur wenig Frühstücksgäste hat und kein großes Buffet bereitstellen kann, gibt es vieles in verpackter Form. Hinzu kommt, dass als „Frühstücksraum“ das anliegende Sushi-Restaurant genutzt wird, das bei den wenigen Gästen etwas kahl und leer wirkt. Wir würden künftig eher die vielen netten kleinen Cafés, die es in Heidelberg gibt, für ein Frühstück ansteuern.

Zimmer im BS Boutique Hotel in Heidelberg

Beim Abendessen erleben wir französische Küche in netter Atmosphäre

Nach unserer Ankunft ist zunächst ein Abendessen angesagt. Wir möchten nicht weit gehen und suchen daher in direkter Nähe des Hotels nach einem Restaurant. Das Hotel liegt in der Brückenstraße, direkt am Neckar gegenüber der Altstadt. In direkter Nachbarschaft finden wir ein einladendes französisches Bistro mit dem Namen „Le Coq“. Es bietet eine großartige französische Küche, ist allerdings nicht ganz billig. Wir verbringen dort einen sehr kurzweiligen Abend, da die Gäste um uns herum sehr bunt und interessant sind. Es herrscht eine besondere Atmosphäre in diesem Bistro – sehr zu empfehlen.

Heidelberg: Eine Stadt der Buchläden

Am nächsten Morgen machen wir uns über den Neckar auf den Weg in die Altstadt. Die Altstadt von Heidelberg ist relativ übersichtlich und gut zu Fuß zu erkunden. Sie wird dominiert von der geschichtsträchtigen Universität. Mit ihren vielen prachtvollen Gebäuden prägt sie Stadt ebenso sehr wie ihre Studierenden, die das Angebot rundherum bestimmen: Studi-Cafés, Buchläden, Kneipen und Teeläden finden sich in jeder Straße und es gibt viele kleine Geschäfte, die zum Stöbern einladen.

Vollkommen begeistert sind wir von dem Antiquariat Hatry, in dem wir eher zufällig landen. Es liegt mitten in der Altstadt und ist ein ganzes Haus mit vier Etagen voller Bücher. Man findet über 100.000 Werke in jeder Preisklasse und zu jedem Thema. Vom fast neuen Taschenbuch bis zur ledergebundenen Erstausgabe ist alles dabei. Wir können mit dem Stöbern gar nicht mehr aufhören und sind mehr als eine ganze Stunde auf den Etagen unterwegs.

Heidelberg Altstadt und Neckar

Schöner Ausblick vom Heidelberger Schloss

Am Nachmittag dann steigen wir die über 300 Stufen hoch zum Heidelberger Schloss. Ein imposantes Gebäude, teilweise nur noch als Ruine erhalten, erwartet uns. Wir durchstreifen die Schlossanalage, von der man einen tollen Blick über die Altstadt von Heidelberg hat. Leider haben wir nicht die Zeit, das Schloss von innen zu besichtigen. Wir nehmen uns das für das nächste Mal vor. Dann werden wir auch die kleine Bergbahn ausprobieren, die direkt hoch zum Schloss fährt. Beim Kauf eines Bahntickets ist zugleich der Eintritt in das Schloss enthalten.

Ruine Schloss Heidelberg

 

Am zweiten Abend gibt es gutes Essen in historischem Ambiente

Nach einer Pause in unserem Hotel, um die neu erworbenen Bücher genauer in Augenschein zu nehmen, machen wir uns auf die Suche nach einem Restaurant für das Abendessen. Wir streunen durch die Straßen und landen im sehr urig wirkenden Gasthof „Zum güldenen Schaf“. Es ist tatsächlich eine uralte Gastwirtschaft mit langer Tradition und historischem Ambiente. Das Essen ist konsequent regional und sehr lecker. Eine gute Adresse, wenn man gutbürgerliche deutsche Küche mag.

Danach erwartet uns der Theaterbesuch: Wir gehen zur Premiere des Musicals Sunset Boulevard, zu der ich eingeladen wurde. Es wird ein sehr spannender und unterhaltsamer Abend.

Am nächsten Morgen müssen wir schon früh wieder zurück nach Köln. Wir nehmen uns vor, wiederzukommen und dann auch das Universitätsmuseum zu besuchen, um mehr über das Herzstück von Heidelberg zu erfahren. Schon seit dem 13. Jahrhundert wird dort gelehrt und ausgebildet. Uns hat die Stadt für sich eingenommen mit ihrem Altstadt-Charme und dem Studierenden-Flair. Auch das Theaterangebot ist wirklich vielfältig und interessant. Allerdings ist es die beste Reisezeit sicher eher der Sommer, wenn man auch die umliegenden Weinberge erkunden und draußen vor den Cafés sitzen kann. Wir freuen uns jedenfalls auf ein Wiedersehen…

Musical „Sunset Boulevard“: Die Traumfabrik von Hollywood

Von |2023-02-07T10:20:45+01:0031.01.2023|Oper|

Heidelberg bringt Webbers Musical „Sunset Boulevard“ auf die Bühne

Das Musical „Sunset Boulevard“ von Andrew Lloyd Webber war mir bisher – ehrlich gesagt – entgangen. Es basiert auf dem Film von Billy Wilder und behandelt das „Haifischbecken“ Hollywood mit seiner oft gnadenlosen Filmindustrie. Das 1993 uraufgeführte Webber-Musical unterscheidet sich wohltuend von den bekannten „Blockbustern“ aus seiner Feder. „Sunset Boulevard“ setzt weniger auf Show und Effekte, sondern stellt die Handlung und die Beziehungen der Figuren stärker in den Vordergrund. In Heidelberg erleben wir eine gelungene Inszenierung des Musicals mit toller Musik und einer beeindruckenden Besetzung.

 

Eine Geschichte von Aufstieg und Fall in Hollywood

Erzählt wird die Geschichte des alternden Filmstars Norma Desmond und des jungen Drehbuchautors Joe Gillis. Gleich in der ersten Szene wird Joe Gillis tot in einem Swimming Pool aufgefunden. Durch eine Rückblende erfährt man, wie es zu diesem dramatischen Ende kam.

Der junge Gillis bemüht sich bislang erfolglos darum, mit seinen Drehbuch-Ideen bei einem der großen Filmstudios angenommen zu werden. Er ist pleite und wird von Geldeintreibern verfolgt. Als diese sein Auto pfänden wollen, flüchtet er mit Hilfe der jungen Studio-Assistentin Betty Schaefer.

Eine Reifenpanne zwingt den jungen Drehbuchautor, eine alte Villa auf dem Sunset Boulevard anzusteuern. Dort trifft er auf die ehemals sehr berühmte Filmdiva Norma Desmond, die während der Stummfilmzeit auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war. Die Einführung des Tonfilms hat ihrer Karriere ein jähes Ende bereitet. Seitdem lebt sie allein mit ihrem Butler Max auf dem immer mehr verfallenden Anwesen und träumt von einem Comeback.

 

Schauspieler des Musicals Sunset Boulevard im Theater Heidelberg.

Foto: Theater Heidelberg

 

Die Verführung von Reichtum und Glamour

Gillis lässt sich von Norma überreden, bei ihr einzuziehen und ein von ihr geschriebenes Drehbuch zu überarbeiten, das sie für ihre Rückkehr auf die Leinwand nutzen möchte. Das Drehbuch ist schlecht, aber Gillis übernimmt das Projekt, da Norma Desmond ihm viel Geld und ein luxuriöses Leben in ihrer Villa bietet. Parallel entspinnt sich eine Beziehung zu der jungen Betty Schaefer, die an das Talent des Autors glaubt und mit ihm gemeinsam ein Drehbuch erarbeiten möchte.

Als Norma Desmond ihr Projekt beendet und ihr Werk in Hollywood abgibt, ist für Gillis der Zeitpunkt gekommen, um zu gehen. Doch Norma bedrängt ihn zu bleiben und er lässt sich von ihr mit Geschenken und Geld dazu überreden, weiter in der Villa zu wohnen. Gleichzeitig verliebt sich der junge Autor mehr und mehr in Betty, mit der er sich heimlich trifft, um gemeinsam zu arbeiten. Irgendwann erfährt Norma von der Beziehung und erschießt Gillis in rasender Eifersucht.

 

Buntes Bühnenbild mit den Schauspielern des Musicals Sunset Boulevard im Theater Heidelberg.

Foto: Theater Heidelberg

 

Farbenfroh und lebendig

Regisseur Felix Seiler bringt „Sunset Boulevard“ in Heidelberg farbenfroh und lebendig auf die Bühne. Die Kostüme aus den 50er Jahren, eingeblendete Videoeffekte und eine sehr einfache, aber wirkungsvolle Bühnengestaltung ziehen das Publikum von Beginn an ins Geschehen. Auch die Musik von Andrew Lloyd Webber sorgt für eine starke Dynamik.

Das Hollywood der 50er, in dem die Geschichte spielt, wechselt musikalisch mit der Zeit des Stummfilms. Besonders deutlich werden diese musikalischen Zeitsprünge bei einer Szene, die den Silvester-Abend zeigt: Gillis bleibt zunächst bei Norma in deren Villa und tanzt mit ihr zur Musik der 30er Jahre. Doch irgendwann hält er es nicht mehr aus und besucht die Silvesterparty seines Freundes, die mit den Hits der 50er und vielen bunten Gästen aufwartet.

 

Tolle weibliche Hauptrolle

Besonders beeindruckend ist an diesem Abend für mich die Besetzung der weiblichen Hauptrolle: Ks. Carolyn Frank spielt den alternden Star Norma Desmond mit großem Einsatz und sehr überzeugend. Sie ist gesanglich und schauspielerisch eine tolle Besetzung und es wird deutlich, dass sie im Publikum viele Fans hat. In der Pause erfahren wir, warum: Zufällig sammeln sich an unserem Stehtisch die gesamte Familie und die Freunde der Hauptdarstellerin. Sie erzählen, das Frank viele Jahre fester Bestandteil des Heidelberger Opern-Ensembles war und schon einige Zeit in Rente ist. Die Rolle der Norma Desmond habe sie wieder auf die Bühne gelockt. Tatsächlich scheint ihre die Rolle auf den Leib geschneidert. Dies erleben wohl auch die Kinder der Sängerin so, denn der Sohn sagte wohl nach der Generalprobe: „Die Mutter ist der Hammer.“ Recht hat er!

 

Großer Schatten einer Frau im Musical Sunset Boulevard im Theater Heidelberg.

Foto: Theater Heidelberg

 

Gelungener Premierenabend

Auch die übrige Besetzung kann sich sehen und hören lassen: Daniel Eckert gibt einen überzeugend moralisch zweifelhaften Joe Gillis, der sich vom Geld verführen lässt und vor einer geheuchelten Liebesbeziehung mit Norma Desmond nicht zurückschreckt. Dirk Weiler gelingt als Diener Max, einen ruhenden Pol zwischen den hoch emotionalen Hauptprotagonisten zu bilden. Er bringt die starke Liebe und Verehrung, die Max der alternden Diva gegenüber empfindet mit viel Einfühlsamkeit auf die Bühne. Charlotte Katzer wiederum als Betty Schaefer trifft sehr gut die Rolle einer natürlichen, bodenständigen jungen Frau, die sich vom Glamour und der Oberflächlichkeit in Hollywood nicht anstecken lässt.

Insgesamt ist die Besetzung sehr gelungen, ebenso die musikalische Leistung des Orchesters unter Dietger Holm. Eine erfolgreiche Premiere, auch nach Meinung des lang anhaltend applaudierenden Premiere-Publikums. Wir haben uns jedenfalls in der – im wahrsten Sinne des Wortes – familiären Atmosphäre des Heidelberger Theaters sehr wohl gefühlt und werden sicher noch einmal wiederkommen..

Wer „Sunset Boulevard“ gerne in Heidelberg sehen möchte, kann mit Glück noch ein paar Restkarten für die weiteren Aufführungen bis Ende April auf der Webseite des Theaters ergattern.

 

Eine Oper wie ein Italo-Western: Spannend und imposant

Von |2023-01-24T16:43:25+01:0024.01.2023|Oper|

Gelungene Inszenierung von Puccinis „La Fanciulla del West“ in Hagen

Dreckige Männer bei der Goldsuche, ein Saloon, waffentragende Sheriffs – ein überraschendes Sujet für eine Oper, zumindest für mich. Giacomo Puccini hat mit „La Fanciulla del West“ (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) eine besondere Oper geschaffen, die eine emotionale Geschichte an einem außergewöhnlichen Ort erzählt. Ihre „Story“ ist spannend wie ein Western, sie ist musikalisch und stimmlich gewaltig, dabei hoch emotional und sensibel. Ein wunderbares Werk!

 

Wenig bekannte Oper handelt von Goldgräbern

Die wenig bekannte Oper handelt von der jungen Minnie, die als einzige Frau am Rande eines Goldgräberlagers einen Saloon betreibt. Sie ist umgeben von frustrierten, gescheiterten Männer-Existenzen, die in ihr den einzigen Lichtblick sehen. Minnie kümmert sich engelsgleich um die Sorgen und Nöte der Goldgräber, weist ihre Annäherungsversuche allerdings kategorisch ab. Besonders aufdringlich ist Sheriff Jack Rance, der Minnie unbedingt „haben“ möchte.

Eines Tages kommt ein Fremder, der sich Johnson nennt, ins Goldgräber-Lager. Minnie und Johnson verlieben sich. Sie erfährt erst später, dass es sich um den Straßenräuber Ramerrez handelt, der die Postwege unsicher macht und von der Postkutschenlinie Wells Fargo und dem Sheriff gesucht wird. Nach einem Besuch in Minnies Hütte wird Johnson/Ramerrez angeschossen und obwohl Minnie über die Entdeckung seiner Identität entsetzt ist, hilft sie ihm. Sie versteckt ihn in ihrer Hütte.

Männer im Bühnenbild der Oper Puccini im Theaterhagen

Foto: Theaterhagen

 

Emotionale Liebesgeschichte mit bombastischer Musik

Als Sheriff Rance ihn dort findet, überredet Minnie den Gesetzeshüter, mit einer Partie Poker um das Leben von Johnson zu spielen. Sie gewinnt durch Betrug und kann Johnson retten. Eine Woche später lauert Sheriff Rance dem Räuber erneut auf und nimmt ihn fest. Er soll gelyncht werden. Minnie kann dies in letzter Minute verhindern, indem sie an die Goldgräber appelliert und ihnen vor Augen führt, was sie alles für sie getan hat. Sie lassen von Johnson ab und Minnie verlässt das Lager gemeinsam mit ihrem Geliebten. Die verzweifelten Goldgräber bleiben allein zurück.

Puccini vertont diese Geschichte mit hoch emotionaler und dramatischer Musik. Sowohl das Orchester als auch der Gesang sind mitreißend angelegt und voller Gefühl. Stimmlich verlangt Puccini einiges, denn die Sängerinnen und Sänger müssen gegen das starke Orchester ansingen, teilweise fast schon anschreien.

Minnie und Johnsen in der Oper „La Fanciulla del West“ in Hagen

Foto: Theaterhagen

 

Perfekte Umsetzung im Theaterhagen

Das Theaterhagen setzt diese schwierige Anforderung in seiner Inszenierung hervorragend um. Das Orchester gibt vom ersten Ton an alles, es verzaubert das Publikum sofort und trägt mit Tempo und Dramatik durch die Handlung. Die Besetzung ist perfekt: Sopranistin Susanne Serfling singt sich im wahrsten Wortsinne die „Seele aus dem Leib“ und überzeugt stimmlich ebenso wie spielerisch. Sie ist eine grandiose Minnie, die für Gänsehaut-Momente sorgt. Ebenso stimmlich überzeugend ist James Lee als Räuber Ramerrez alias Johnson. Er schafft es mühelos, sich über das Orchester hinweg Gehör zu verschaffen. Sein Kontrahent, Sheriff Jack Rance, wird gesungen von Insu Hwang. Er spielt überzeugend den gefühllosen, vom Leben enttäuschten Sheriff, der Minnie in erster Linie besitzen will.

Auch das Bühnenbild und die Kostüme sind in der Hagener Inszenierung von „La Fanciulla del West“ gut gewählt. Alles ist schlammbraun und dreckig, der „goldene Westen“ ist ein durch Hitze und Schneestürme unwirtliches Land, das für die nach Glück und Reichtum suchenden Einwanderer zu einer Hölle wird. Sie sind gescheitert und desillusioniert, nur Minnie schafft es, ihnen mit ihrer Güte und Empathie in all dem Schlamm und Dreck noch Mut zu geben.

Bühnenbild des Theaterhagen mit Johnsen in Puccinis Oper „La Fanciulla del West“

Foto: Theaterhagen

 

Eine Reise nach Hagen lohnt sich

Das Theaterhagen ist für mich eine Art „Geheimtipp“. Gemeinsam mit meiner Freundin fahre ich immer wieder gern in dieses vergleichsweise kleine Haus. Es überrascht fast jedes Mal mit tollen Inszenierungen und einer besonderen Werk-Auswahl. Auch die Puccini-Oper „La Fanciulla del West“ war in jeder Hinsicht eine Überraschung: Ich kannte die Oper vorher nicht und hätte nicht erwartet, dass Hagen diese anspruchsvolle Oper so überragend umsetzt. Ein wirklich gelungener Opernabend!

Wer sich die Inszenierung nicht entgehen lassen will – zwei weitere Vorstellungen von „La Fanciulla del West“ im Theaterhagen finden am 09. Februar und 11. März 2023 statt.

Digitales Theater ist (fast) ein Widerspruch in sich – eine Replik

Von |2022-04-28T10:32:32+02:0018.02.2021|Digitalkultur|

Vor zwei Wochen hat Sabine Haas hier auf dem Kultur-Blog über digitale Kulturangebote geschrieben. Sie formulierte dort den Wunsch, dass sich bei Live-Streams oder digitalen Aufnahmen von Theateraufführungen noch mehr entwickeln muss. Nils Bühler sagt nun: Digitales Theater – das kann nichts werden.

 

Sabine hat, denke ich, in ihrem Artikel zu digitalen Kulturangeboten recht: In den letzten Monaten haben sich viele Kultureinrichtungen ins Zeug gelegt, um digitale Ausdrucksformen für ihre Künste zu finden, doch im Großen und Ganzen gibt es noch Luft nach oben. In einer Sache ist der Wunsch nach einer Entwicklung jedoch vergebens: Das Theater wird sich nicht ins Digitale übertragen lassen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.

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Digitale Konzerte, Museen und Theater – Hat das alles eigentlich eine Zukunft?

Von |2022-04-28T10:33:11+02:0004.02.2021|Digitalkultur|

Die Lockdowns während der Coronapandemie haben viele digitale Angebote von eigentlich nicht-digitalen Institutionen hervorgebracht. Viele gute und auch nicht so gute Beispiele haben wir hier auf dem Kultur-Blog schon besprochen. Doch wie steht es um die digitalen Kulturangebote im Gesamten? Sabine Haas gibt eine Einschätzung.

 

In Zeiten von Corona bleibt den Kultureinrichtungen nur der eine Weg, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen: Das Internet. Es ist also kein Wunder, dass es inzwischen ein extrem breites Angebot an digitaler Kultur gibt und dieses Angebot täglich weiter wächst. Kulturinteressierte können digital Konzerte besuchen, Theater-Livestreams verfolgen, 360-Grad-Apps auf ihr Handy laden, Podcasts abonnieren und vieles mehr. Das ist toll, denn es zeigt, wie breit die Möglichkeiten digitaler Kulturerfahrungen inzwischen sind.

Dennoch: Immer noch sind viele dieser digitalen Kulturevents eher „Notlösungen“ oder „Ausweichangebote“, die die Pandemie als Ausnahmesituation hervorbringt und die nicht wirklich überzeugen. Der Grund: Vieles ist nicht durchdacht, einiges technisch sehr aufwändig und oft ist die Hürde bei der Nutzung so groß, dass man schon vor dem Einstieg abgeschreckt ist.

Nach einer Reihe von „digitalen Kulturbesuchen“ bekomme ich mehr und mehr den Eindruck, dass es noch eine Weile dauert, bis sich eine attraktive und sinnvolle „digitale Kulturlandschaft“ herausgebildet hat, deren Besuch wirklich Spaß macht – und zwar nicht nur in Zeiten einer Pandemie.

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Theater für Zuhause, quasi zum Mitnehmen – Geht das?

Von |2022-04-28T10:34:18+02:0019.01.2021|Digitalkultur|

Theatervorstellungen mit VR-Brillen direkt nach Hause geliefert – das bietet das Startup Inflight VR mit seinem Programm Frontrow an. Sabine Haas hat das Angebot für das Kultur-Blog getestet.

Zu diesem Artikel gibt es auch ein Interview mit Henning Förster von Inflight VR.

 

Auf vieles müssen wir in Corona-Zeiten verzichten und jedem fehlt sicher etwas anderes in besonderer Weise. Mein Mann vermisst derzeit vor allem das Skifahren, meine Kinder ihre Freunde und ich die Kultur. Mein letzter Besuch in Museum, Theater und Oper liegt inzwischen viel zu lange zurück und ich wäre überglücklich, wenn ich das wieder erleben könnte: Live an Kunst und Kultur teilhaben, im Opernsaal sitzen und in der Pause ein Glas Sekt trinken. Darauf müssen wir noch eine ganze Weile warten. Entsprechend spannend fand ich es, als mir kurz vor Weihnachten das Startup Inflight VR seine Idee „Frontrow“ vorstellte: Mittels virtueller Technologie kann man sich Kulturveranstaltungen nach Hause holen und vom Sofa aus genießen – als wäre man live dabei.

Das musste ich natürlich ausprobieren. Wie es funktioniert, wird auf der Website von Frontrow in wenigen Sätzen erklärt: Man wählt die gewünschte Vorstellung aus, legt sie in den Warenkorb und bucht dazu einen Hin- und Rückversand der VR-Brille. Diese wird umgehend zugesendet und man kann über das VR-Headset in das jeweilige Kulturerlebnis einsteigen. Anschließend wird alles wieder verpackt und zurückgeschickt.

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Frontrow – Interview mit Henning Förster

Von |2022-05-11T14:06:55+02:0019.01.2021|Digitalkultur|

Nachdem Sabine Haas das Theater-VR-Angebot von Frontrow – ein Konzept des Münchener Startups Inflight VR – getestet hat, wollte sie mehr wissen. Henning Förster, COO des Startups, hat sich für ein Interview bereiterklärt und spricht über die Pläne des Angebots und was dahintersteckt.

Dieses Interview ist eine Fortsetzung von Sabine Haas‘ Artikel zu Frontrow.

Um mehr über das Projekt Frontrow und seine virtuellen Theaterangebote zu erfahren, habe ich mit Henning Förster, dem COO des Startups Inflight VR gesprochen. Er verantwortet das Projekt Frontrow, das im Dezember vergangenen Jahres seine Arbeit aufnahm.

Sabine Haas: Wie hängen Frontrow, Inflight und das Staatstheater Augsburg zusammen?

Henning Förster: Unser Startup, Inflight VR, ist spezialisiert auf VR-Technologie. Wir haben das Ziel, Virtual-Reality-Anwendungen für die Praxis zu entwickeln. Unser erster Ansatz war VR-Erlebnisse für Flugreisende zu entwickeln – daher auch der Name Inflight VR. Das ist uns auch erfolgreich gelungen und ist nach wie vor ein wichtiges Kerngeschäft, allerdings hat uns Corona im vergangenen März erst einmal ausgebremst. In dieser Situation haben wir uns überlegt, welche weiteren Anwendungen möglich sind und wie man vielleicht gerade den durch Corona betroffenen Branchen mittels VR-Anwendungen helfen kann. So entstand die Idee, Kulturveranstaltungen auf Virtual-Reality-Plattformen zu übertragen: Frontrow – Erste Reihe, auch in Zeiten von Corona.

Das Staatstheater Augsburg wurde unser erster Kooperationspartner, da dort schon VR-Produktionen entwickelt worden waren. Entstanden aus einer innovativen Inszenierungs-Idee, die VR-Elemente mit dem klassischen Theater verbinden wollte, ist das Thema VR zu einem eigenständigen Produktionsansatz des Theaters geworden. Mitarbeiter haben die VR-Headsets an die Theaterbesucher zu Hause verteilt, so dass sie weiter an Veranstaltungen teilnehmen konnten. Eine Kooperation mit Augsburg lag für uns daher nahe.

SH: Was genau bietet Frontrow an?

HF: Wir sind kein Kulturbetrieb und auch keine klassische VR-Produktionsstätte. Zwar haben wir das Knowhow in unserem Team, denn bei uns arbeiten allein drei promovierte Experten, die über Virtual Reality ihre Doktorarbeit geschrieben haben. Aber unser Ansatz ist ein anderer: Wir möchten eine Plattform bieten, die – ähnlich wie Netflix – Angebote im Bereich VR sammelt und vertreibt. Mit Frontrow möchten wir DER Anbieter für kulturelle Veranstaltungen im Bereich Virtual Reality werden. Neben der Plattform für die Buchungen stellen wir darüber hinaus auch die VR Headsets zur Verfügung, sodass kein Equipment benötigt wird und wirklich jeder unser Angebot ausprobieren kann. Im Dezember sind wir zunächst mit einem überschaubaren Angebot gestartet und werten jetzt aus, wie die Idee ankommt und sinnvoll weiterentwickelt werden kann.

SH: Was bedeutet Virtual Reality in Bezug auf Kultur?

HF: Derzeit bewegen wir uns im Bereich der klassischen Kultur, d.h. Theater, Museum, Tanz, Oper etc. VR-Angebote können je nach Anbieter sehr unterschiedlich aussehen. Wir bieten Stand heute drei Theaterstücke und eine Tanz-Performance an – in wenigen Wochen nehmen wir aber noch weitere VR Erfahrungen auf. Die Theaterstücke sind in 360-Grad-Perspektive gefilmt, das bedeutet, der Zuschauende sitzt mitten im Raum und die Aufführung findet rund um ihn herum statt. Daraus ergibt sich natürlich ein ganz anderes Erleben als in einem realen Theater. Bei Ausstellungen sind verschiedene Ansätze denkbar. Es könnte einen virtuellen Rundgang geben, bei dem man durch die Ausstellungsräume geht oder eine Inszenierung verschiedener Objekte. Virtual Reality bietet eine Menge an Möglichkeiten. Wichtig ist, dass es ein immersives Erlebnis ist, d.h. keine einfache zweidimensionale Abbildung des Geschehens.

SH: Woher nehmen die Kulturanbieter das Knowhow, um ein attraktives VR-Angebot zu entwickeln?

HF: Das ist bislang tatsächlich etwas schwierig. Viele Einrichtungen haben kein Wissen zu dieser Technologie. Und auch wir merken, dass VR ganz besondere Herausforderungen mit sich bringt, da es sich von üblicher Videoproduktion deutlich unterscheidet. Ein wesentlicher Bestandteil von unserem Angebot ist es daher, die Kultureinrichtungen ganzheitlich und komplett bei den Projekten zu unterstützen. Wir sind Experten im Bereich der VR und helfen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Konzeption des VR-Stücks, über die Produktion bis hin zur technologischen Implementierung und Distribution der Erfahrungen. Um ein wirklich gutes virtuelles Kulturerlebnis zu schaffen, muss man seine Angebote spezifisch für diese Technik entwickeln und kann in der Regel nicht auf die bestehenden Standards zurückgreifen. Wichtig sind beispielsweise ausreichend Licht und die Ausrichtung auf die Kamera. Oder aber auch eine angemessene Länge des Stücks – beispielsweise zwischen 45 und 75 Minuten. Da kommen wir dann ins Spiel und unterstützen die Einrichtungen, damit effizient und kostengünstig VR Produktionen umgesetzt werden.

SH: Welche Partner werden denn künftig bei Frontrow zu finden sein?

HF: Das kann ich leider noch nicht verraten. Wir führen derzeit viele Gespräche und bei einigen sind wir schon sehr weit, aber es gibt noch keine feste Partnerschaft, die wir kommunizieren können. Ich hoffe sehr, dass wir das Angebot bald erweitern können. Das sieht auch derzeit sehr vielversprechend aus.

SH: Bei meiner Testnutzung hatte ich die Erfahrung gemacht, dass das Bild nicht ganz scharf war. Woran liegt das?

HF: Das ist leider (noch) der Technologie geschuldet und kann sich noch einmal verstärken, wenn man Brille trägt. Das liegt vor allem an der sehr hohen Datenmenge, die bei einer 360-Grad-Perspektive verarbeitet werden muss. In der Regel fällt das allerdings nicht so deutlich auf. Im getesteten Theaterstück konnte man es bei den Kalenderblättern, die an den Wänden hingen, besonders merken. Die Brille sollte man unbedingt unter dem VR-Headset anbehalten. Eine perfekte Schärfe erhält man leider mit der heutigen Technologie noch nicht, sie entwickelt sich jedoch rasant weiter und verbessert sich stetig. Und natürlich nutzen wir auch die Erfahrungswerte aus den ersten VR Produktionen, um diese konstant zu verbessern.

SH: Wie ist denn das Feedback des bisherigen Publikums und wer nutzt das Angebot?

HF: Wir sind tatsächlich überrascht, wie gut Frontrow im ersten Monat angelaufen ist, besonders, da wir keinerlei Marketing oder Werbung gemacht haben. Es gab schon über 150 Bestellungen, viele davon aus dem Publikum des Staatstheaters Augsburg, aber auch darüber hinaus. Die Zielgruppen sind noch bunt gemischt, von jung bis alt ist alles dabei. Das entspricht unserem Ziel: Wir möchten alternative Lösungen für die Bestandspublika bieten und darüber hinaus neue Zielgruppen erreichen. Das scheint zu funktionieren.

Das Feedback ist ebenfalls sehr positiv: Es kommt viel Lob, vereinzelt natürlich auch Kritik. Uns freut beides, weil wir die Startphase als eine Art Pilottest ansehen, bei dem wir eine ganze Menge über die Erfolgsfaktoren unserer Geschäftsidee lernen können. Die kommenden Monate werten wir Erfahrungen aus, um das Angebot weiter zu optimieren. Neben einer Erweiterung der Kooperationen ist beispielsweise geplant, für die Personen, die schon ein VR-Headset besitzen, eine Bestellung der Kulturangebote ohne dazu gehörige Hardware zu ermöglichen. Das geht bislang noch nicht.

Da wir keine öffentliche Förderung oder sonstige finanzielle Unterstützung bekommen, planen wir Schritt für Schritt. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass Frontrow erfolgreich sein und wachsen wird. Derzeit stehen wir noch ganz am Anfang einer sehr spannenden Entwicklung.

SH: Viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch!

Street Scene – Kurt Weills Oper von 1947 überzeugt durch ein Kaleidoskop an Bildern und Melodien

Von |2022-05-11T14:26:57+02:0010.05.2019|Oper|

In Köln läuft derzeit eine Oper von Kurt Weill aus den späten 40er-Jahren mit dem Titel »Street Scene«. Man konnte bereits lesen, dass die Oper gut inszeniert sei, daher war ich neugierig geworden und habe der Vorstellung einen Besuch abgestattet.

»Street Scene« erzählt die Geschichte eines Mietshauses in einer armen Gegend von New York mitten in einem unerträglich heißen Sommer. Zu Beginn erhält man einen Eindruck von den einzelnen Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses und ihren Geschichten. Es wird klar, dass das Haus von Einwanderern aus aller Herren Länder bewohnt wird, die jeweils mit dem Alltag und dem Überleben in der großen Stadt zu kämpfen haben.

Im Laufe des ersten Aktes fokussiert die Handlung dann mehr und mehr auf die Familie Maurrant: Mutter Anne Maurrant beginnt eine Affäre mit dem Milchmann, da sie von ihrem Leben und der abweisenden Art ihres Mannes enttäuscht ist. Tochter Rose verliebt sich in den Nachbarsjungen Sam Kaplan, der als angehender Akademiker aber eigentlich nicht zu ihr passt. Sie ist sich unsicher, ob sie ihrem Herzen folgen oder eher auf die Avancen ihres Chefs eingehen soll. Dieser ist zwar verheiratet, lockt Rose aber mit dem Versprechen, sie auf die Bühnen des Broadways zu bringen.

Die Geschichte endet tragisch. In Akt 2 kommt Vater Frank Maurrant hinter die Affäre seiner Frau und erschießt sowohl den Liebhaber als auch seine Gattin. Die Tochter findet die Mutter im Sterben liegend vor und muss zusehen, wie ihr Vater in Handschellen abgeführt wird. Ihn erwartet der elektrische Stuhl. Sie verlässt daraufhin das Mietshaus und lässt auch ihren Geliebten Sam zurück, weil sie Angst davor hat, sich mit ihm zu binden.

Für die Hausgemeinschaft legt sich die Aufregung schnell: Neue Mieter ziehen ein. Der Alltag hält wieder Einzug.

Storytelling vom Feinsten

Das Besondere dieser Oper ist für mich die Art, in der die Geschichte erzählt wird. Wie mit einem Kaleidoskop werden die verschiedenen Charaktere und Storys der Mietergemeinschaft beleuchtet. Die Perspektiven wechseln dabei zwischen den einzelnen Parteien, die mit ihren Sorgen und Nöten immer neue Aspekte des Lebens in New York skizzieren. Die Geschichte springt vor allem zu Beginn hin und her und fokussiert erst im Laufe der Handlung auf einen durchgehenden Erzählstrang.

Vielfalt in Musik und Szenenumsetzung

Genauso so ist es mit der Musik: Sie ist bunt, abwechslungsreich und erinnert teilweise an Musical- und Broadway-Hits, teilweise an die klassischen Arien aus der Opernwelt. An vielen Stellen setzt die Musik sogar ganz aus und macht Theaterszenen Platz. Um dies in dem großen Ensemble adäquat abzubilden, bedarf es einer sehr breiten Besetzung. So waren in Köln sowohl Schauspieler als auch Chorsänger, Tänzer, Musical-Stimmen und Opernsänger vertreten – und natürlich das sehr gute Gürzenich-Orchester.

Ein Genrewechsel, der an das Gefühl von Knisterbrause erinnert

Teilweise wirkte der Wechsel zwischen Opern- und Musicalatmosphäre für mich sehr verwirrend und sorgte für regelrechte Brüche in meinem Erleben: Tanzeinlagen wechseln auf Arien, launige Broadway-Songs auf getragene Orchestermusik. Gerade zu Beginn hatte ich dadurch Schwierigkeiten, mich in die Oper hineinzufinden. Aber die Vielschichtigkeit sowohl der Handlung als auch der Musik hatte mich schon bald komplett in ihren Bann gezogen.

Bis hin zu den jüngsten Darstellern eine insgesamt überzeugende Besetzung

Vor allem begeistert hat mich neben dem Orchester die schauspielerische Leistung der Kinderdarsteller, allen voran der kleine Joseph Sonne als Willie Maurrant. Er spielte seine Rolle des frechen Großstadtjungen einfach wunderbar! Ebenfalls wunderbar waren Allison Oakes als Anna Maurrant, Emily Hindrichs in der Rolle der Tochter und Jack Swanson als Sam Kaplan. Auch die vielen kleineren Rollen und der Chor waren überzeugend besetzt und zeigten mit viel Spielfreude und Einsatz ihr Können. Einzig Kyle Albertson als Frank Maurrant kam mir stimmlich etwas schwach vor, aber ich bin zu wenig Expertin, um hier fundiert zu urteilen.

Unterhaltsam und zugleich anregend

Insgesamt kann man sagen, dass die Oper »Street Scene« eine unglaubliche Fülle von Eindrücken hinterlässt. Dies bewirken nicht nur die vielen Akteure und ihre unterschiedlichen Darstellungsstile oder die abwechslungsreiche Musik. Auch die Texte sind voller sozialkritischer Anspielungen und ziehen einen breiten Bogen von der Jugendkultur über die linkspolitischen Ansichten der Intellektuellen bis hin zum ungerechten Machtverhältnis zwischen Mann und Frau in den unteren sozialen Schichten der damaligen Zeit. Man nimmt eine Menge mit, wenn man nach gut drei Stunden die Oper verlässt – im Kopf genauso wie im Herzen.

Hinweis!

Wer die Oper besuchen möchte, sollte sich beeilen. Heute Abend (10.05.2019) läuft die nächste Vorstellung. Am 12. und 16. Mai 2019 sind die beiden letzten Termine.

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