Trump und seine 140 Zeichen

In einem Nachrichtenkommentar hieß es zu einem Trump-Interview: »Man erlebt eine Gedankentiefe von 140 Zeichen. Halbwertszeit: ein Tag.« Was bedeutet das? Ist die Einheit von 140 Zeichen der neue Rahmen für politische Äußerungen? Verflacht durch Twitter die Politik? Und ist Trump durch seine »Twitter-Regierungerklärungen« schuld daran? 

Früher waren es 00:01:30

So ganz neu ist das Phänomen kurzer politischer Ansagen und Statements ja nicht. Auch im Radio sollte ein Gespräch mit einem Interviewpartner niemals länger als 00:01:30 dauern, und die Zeit für eine Fernsehnachricht ist ebenfalls stark limitiert. Außerdem ist Trump nicht der Erfinder des politischen Dialogs via Twitter. Etabliert wurde die Nutzung der Social-Media-Kanäle schon von Obama, und sie ist für eine Reihe von Politikerinnen und Politikern inzwischen gang und gäbe.

Es ist ja auch von großem Vorteil, unabhängig von dem Wohlwollen der Medienhäuser zu sein und einen direkten Draht zu den Bürgerinnen und Bürgern zu haben. Und es ist auch klar, dass die Presse diesen direkten Dialog nicht gerne sieht, vor allem, wenn er mehr und mehr die offiziellen Pressekonferenzen ersetzt und die »Gatekeeper« leer ausgehen lässt.

Hat also Trump nur die Zeichen der Zeit erkannt und macht das, was jeder kluge Politiker an seiner Stelle auch machen würde?

Man kann das eine tun, darf aber das andere nicht lassen

Im Kontext von Demokratien ist der Begriff »politische Meinungsbildung« zentral. Damit ist gemeint, dass Parteien oder Personen versuchen, ihren Wählerinnen und Wählern politische Standpunkte und Positionen transparent zu machen. Sie versuchen dies üblicherweise über einen nachhaltigen und mehrstufigen Dialog, bei dem sie parteiinternen Experten, externen Fachvertretern, Medien sowie Bürgerinnen und Bürgern in verschiedener Form und Tiefe ihre Argumente vermitteln. Dieser umfassende Prozess der Meinungsbildung ist zäh und anstrengend. Aber er darf und kann nicht abgekürzt werden, wenn man seriöse Überzeugungsarbeit statt Demagogie betreiben möchte.

Schon in der Antike gefiel dieses langwierige Ringen um Argumente nicht jedem. Es gab damals in Griechenland die Sophisten, die Diskurs durch Rhetorik ersetzt hatten. Ihre Kunst bestand darin, die Worte so wählen, dass sie auch ohne Inhalt auskamen. Sokrates kämpfte gegen diese Art von »Überredung« – oft auf verlorenem Posten.

Trump hat die Methode der Sophisten noch einmal deutlich rationalisiert. Er hält sich nicht mehr mit langen Reden auf, sondern wirft kurze knackige Statements ins Netz. Dabei weiß er sehr genau, wie die Mechanik digitaler Netzwerke funktioniert: Er muss die richtigen Reiz- und Schlüsselwörter in die richtigen Communities streuen, um virale Effekte zu erzielen und aus einem 140-Zeichen-Statement eine politische Einstellung und aus dieser eine Netzbewegung zu generieren. Zusätzlich hat diese Methode für ihn den Charme, dass die durch seine Äußerungen, Bewertungen oder Forderungen angesprochenen Dritten in Zugzwang geraten. Sie müssen auf großer Bühne statt hinter den Kulissen reagieren. Viele Instrumente der Diplomatie, die von Diskretion leben, sind somit außer Kraft gesetzt.

Twitter-Community aufgepasst!

Es ist in meinen Augen und nach meinem bisherigen Eindruck perfide und gefährlich, wie Trump den digitalen Dialog für sich nutzt. Die Twitter-Community läuft Gefahr, instrumentalisiert zu werden, und Medien sowie Lobbyisten und Diplomaten werden ausgehebelt.

Jetzt kann man sagen: Gut so, die hatten sowieso zu viel Einfluss! Aber ich glaube, mit diesem Argument springt man zu kurz. Es ist tatsächlich gut und richtig, das Social Media dem Einfluss der Meinungsführer, Unternehmen und Journalisten auf die Politik Grenzen setzt und vor allem Transparenz schafft. Für nicht gut und brandgefährlich halte ich es, wenn Netzdemagogie die Meinungsbildung ablöst und es keine Rolle mehr spielt, welche Überzeugungskraft und sachliche Grundlage in politischen Entscheidungen steckt. Dies zu beurteilen helfen uns Meinungsführer, Journalisten, Lobbyisten und Experten extrem. Denn nur sie haben die Zeit und Möglichkeit, weit mehr als 140 Zeichen zum Thema zu verarbeiten und einzuordnen.

Wir sollten sehr genau beobachten, wie Trump künftig in seiner Rolle als Präsident mit den sozialen Medien umgeht. Dabei sollte man sich nicht von dem Charme, in 140 Zeichen Dinge provokant auf den Punkt zu bringen, blenden lassen. Twittern ist großartig. Echter politischer Dialog benötigt aber weit mehr als das.

Sabine Haas

Sie gründete 1994 das result Markt- und Medienforschungsinstitut, 2007 folgte eine Webagentur, im Jahr 2011 der Geschäftsbereich Beratung. Als Kennerin der alten wie auch Neuen Medien gehört sie zu den gern gesehenen Speakerinnen bei Fachveranstaltungen & Kongressen rund um das Thema "Digitaler Wandel/Medienwandel".

Kommentare

  1. […] Interessant, dass sich daran auch nichts zu ändern scheint, obwohl (wenngleich auf negative Weise) Trump & Co. uns tagtäglich vor Augen führen, wie wirksam Twitter sein […]

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