Vom Filmemacher zum Opernregisseur: Interview mit Axel Ranisch

Von |2022-05-11T12:21:14+02:0021.03.2022|Oper|

Filmemacher, Buchautor, Opernregisseur – Axel Ranisch ist ein Generalist und obendrein ein sympathischer Gesprächspartner. In meinem Interview mit ihm erklärt er, wie er zur Oper fand, was eine gute Inszenierung für ihn ausmacht und warum ihm Buh-Rufe sehr nahe gehen.  

Wir haben uns vor der Opernpremiere des Rigoletto in Lyon zu einem Gespräch verabredet. Im Konferenzraum im obersten Stock des imposanten Opernhauses treffe ich auf den 38-Jährigen. Schon die Begrüßung ist äußerst herzlich und offen: Er habe die Interviewtermine nur so legen können, weil er gleich seine Familie erwarte. Ob das denn in Ordnung sei? Natürlich ist es in Ordnung, und bisher hatte sich keiner meiner Interviewpartner die Mühe gemacht, das zu fragen. 

Nicht nur gut und böse zeigen 

Ich möchte zunächst wissen, wie Axel Ranisch an eine Inszenierung herangehe, was ihm dabei wichtig sei. Der Regisseur muss nicht lange nachdenken: „Mir ist vor allem wichtig, dass die Personen in einer Oper vielschichtig sind und nicht zu holzschnittartig. Für mich gibt es nicht nur gut oder böse, das wäre auch langweilig. Auch bei der Inszenierung der Oper Hänsel und Gretel in Stuttgart hat mich das interessiert: Kann man die Hexe anders darstellen, als nur böse? Auch den Vater von Hänsel und Gretel, der ja eigentlich ein Ja-Sager ist, wollte ich etwas differenzieren.

Dabei ist dem gut gelaunten Mann mit dem Wuschelkopf daran gelegen, nicht zu kompliziert oder zu düster und sperrig zu werden: „Die Geschichte muss erhalten bleiben, Oper muss auch Spaß machen und verständlich sein. Ich denke da sehr vom Publikum aus. Hänsel und Gretel zum Beispiel ist eine Kinderoper. Da sind auch Kinder im Publikum und die sollen – trotz aller Greuel in diesem Märchen – einen schönen Abend erleben.“ 

„Rigoletto ist eine Testosteron-Oper“ 

Für Rigoletto war die Frage nach der Ausdifferenzierung der Charaktere ebenfalls zentral. Ranisch: „Die Oper wurde schon 500.000 Mal inszeniert. Da fragt man sich schon, wie geht man da am besten heran.“ Zunächst sei Rigoletto für ihn ein Problem gewesen, da die Oper „nicht in der Balance“ sei. Es gebe viel zu viele Männer und unglaublich viel Testosteron. Das Weibliche komme deutlich zu kurz.  

Um mehr Gleichgewicht herzustellen, ersann der Regisseur eine interessante Lösung: „Ich hatte sehr schnell die Idee, eine zweite Erzählebene hinzuzufügen. Verdi hat eine Menge Leerstellen gelassen, so erfährt man beispielsweise nichts über die Frau von Rigoletto, Gildas Mutter. In meiner Rahmenhandlung erzähle ich daher von Hugo, ein leidenschaftlicher Fan der Verdi-Oper, dessen Leben gewisse Parallelen zu Rigoletto aufweist. Ihm gebe ich eine Frau an die Seite, um so den Charakter (auch des Rigoletto) stärker auszuleuchten.“

Film in die Oper bringen 

Hugos Geschichte wird in erster Linie filmisch erzählt. Das ist kein Zufall, sondern liegt in Axel Ranischs Werdegang begründet. Der Berliner erzählt, warum er den Film in die Oper bringt und wie er in die Regiearbeit gekommen ist: „Ich habe immer schon die Oper geliebt, schon als Kind und Jugendlicher. Aber eine musikalische Bildung war in unserer Familie nicht im Fokus, und so bin ich erst viel zu spät mit Musik in Berührung gekommen. Ich bin ein musikalischer Laie, der sich autodidaktisch das ein oder andere beigebracht hat.“ Ranisch hatte nach seinem Abitur eine andere künstlerische Karriere für sich gewählt: Er lernte an der Filmhochschule und machte schon bald mit verschiedenen Kurzfilmen auf sich aufmerksam.  

Axel Ranisch ist sowohl Regisseur, Schauspieler, Produzent und Autor. Sein Roman „Nackt über Berlin“, der von zwei schwulen Jugendlichen erzählt, hat viel positive Resonanz erhalten. Ebenso seine filmischen Arbeiten. Das zu dieser breiten Palette an Professionen auch noch die Oper dazukommen würde, habe er sich niemals träumen lassen, so Axel Ranisch: „Ich war völlig überrascht, als sich Nikolaus Bachler, der ehemalige Intendant der Münchener Staatsoper, bei mir meldete, um mich für ein Opernprojekt zu gewinnen. Damit ging unerwartet ein Herzenswunsch in Erfüllung.“ 

Als „Quereinsteiger“ habe sich Ranisch immer gerne der Werkzeuge bedient, die er vor allem beherrscht: „Ich komme vom Film, also habe ich Film mit in die Oper genommen. Damit fühle ich mich wohl.“ Was ist für Ranisch das Besondere an Opern-Inszenierungen? „Oper ist deutlich vielschichtiger als Film. Man hat es mit einem Publikum zu tun, dass durchaus gefordert werden möchte. Dadurch kann man komplexer an Opern herangehen als an gängige Filmprojekte. Außerdem ist die Kombination aus Musik, Schauspiel und Gesang mit anderen Anforderungen verbunden: Was kann man den Sängerinnen und Sängern zumuten? Was geht schauspielerisch, was nicht? Das ist sehr interessant“, erklärt er mir.

Trotz seiner Begeisterung für das Genre Oper möchte Axel Ranisch sich darauf nicht begrenzen. Er sagt: „Ich finde es toll, wenn ich beides machen kann. Die Abwechslung gefällt mir und es geht mir gut damit.“ 

Mit Rigoletto Frankreich entdeckt 

Rigoletto ist für Ranisch die erste Arbeit in Lyon. Er habe sich sehr gefreut, als ihn Serge Dorny, der kurz davor war, nach München zu wechseln, mit seinen Arbeiten kennenlernen wollte. Das Ensemble in München sei ihm sehr ans Herz gewachsen und er war schon in Sorge, ob mit dem Weggang Bachlers die Zusammenarbeit aufhöre. Daher wollte er die Arbeit für Lyon in jedem Fall übernehmen. 

Das war vor zwei Jahren, kurz bevor Corona alle Spielstätten lahmlegte. „Das Stück lag zwei Jahre in der Schublade“, so Ranisch. Ob er es denn jetzt unverändert auf die Bühne gebracht habe? Ranisch lacht: „Nein, natürlich habe ich nochmal daran herumgefummelt. Es gab viel Überflüssiges, viele Arabesken, die ich herausgenommen habe. Ich glaube, es ist dadurch besser geworden.“ 

Mit Lyon hat Ranisch nicht nur eine neue Opernstätte, sondern zugleich auch Frankreich kennengelernt. „Ich bin überall gewesen und habe mir viel angeschaut. Und das Ergebnis ist ein neuer Weinschrank in meiner Wohnung in Berlin“, erzählt er lachend.  

Freundlichkeit und gute Laune scheinen sowieso für den 38-Jährigen von zentraler Bedeutung zu sein. So gibt er zu, dass ihm Buh-Rufe durchaus nahe gehen: „Ich möchte schon, dass meine Werke gefallen und eine positive Wirkung auf das Publikum haben. Bisher hatte ich Glück und wurde nicht ausgebuht. Das wäre mir auch nicht egal. Da bin ich sensibel.“  

Bei Rigoletto jedenfalls konnte er sich über begeisterten Applaus freuen. Das wird ihm sicher gefallen haben, vor allem weil auch seine Mutter im Publikum saß …  

Rigoletto Oper Lyon: Feuerwerk an Emotionen und grandiose Sänger

Von |2022-05-11T12:17:07+02:0019.03.2022|Oper|

Im Vorfeld der Aufführung hatten wir ein Interview mit dem Regisseur Axel Ranisch und waren daher bestens vorbereitet. Dabei hätte es dies nicht gebraucht: Die Premiere von Rigoletto ging direkt ins Herz, sowohl über die Bilder als auch über Musik und Gesang. Es war ein lustiger, trauriger, anrührender und besonderer Abend, den wir in Lyon erleben durften, und er bleibt sicherlich für längere Zeit unvergessen.

Multitalent Axel Ranisch führt Regie

Axel Ranisch hat seine Ausbildung als Filmemacher absolviert. An die Oper geriet er eher durch einen Zufall. Daher ist es nicht verwunderlich, dass seine Oper nicht ohne Leinwand auskommt. Verwunderlich ist eher, wie gut diese Mischung zwischen Film und Oper funktioniert und wie sehr das Bühnengeschehen durch die Ergänzung um Bewegtbild bereichert wird.

Nicht jedem gefällt es, wenn filmische Szenen das Bühnengeschehen überlagern oder ergänzen. Tatsächlich erntete Regisseur Axel Ranisch für seine „wilde Inszenierung“ einige Buh-Rufe – im Gegensatz zu dem musikalischen Ensemble, das sehr bejubelt wurde. Meiner Begleitung und mir gefiel dagegen Ranischs Ansatz extrem gut. Auch wenn es manchmal schwer war, dem Gewusel auf Bühne und Leinwand gleichzeitig zu folgen.

Die Handlung

Aber der Reihe nach: Mir – als Opern-Spätstarterin – war Rigoletto neu. Ich hatte diese wunderbare Oper bisher nicht gesehen und kannte auch die Musik nur in wenigen Ausschnitten. Die Handlung hier nun – wie immer – in Kurzform schnell erzählt:

Die Handlung ist wie immer schnell erzählt: Hofnarr Rigoletto hilft seinem Dienstherren, dem Frauenverführer und Herzog (Duca) von Mantua, bei seinen diversen Liebensabenteuern. Den gehörnten Ehemännern, abservierten Ehemaligen etc. gegenüber verhält er sich beleidigend und völlig mitleidlos. Als Rigoletto sogar so weit geht, eine verheiratete Frau entführen lassen zu wollen, um sie dem Duca zuzuführen, ist der Zorn der übrigen Männer im Umfeld des Herzogs geweckt. Sie wollen sich rächen, indem sie die vermeintliche Geliebte des Rigoletto entführen lassen. Es handelt sich jedoch um dessen vor dem Herzog und der Welt versteckte Tochter Gilda. Sie wird tatsächlich anstelle des eigentlichen Opfers entführt, verliebt sich in den Duca und wird von ihm entehrt. Rigoletto ist am Boden zerstört. Er plant, dass seine Tochter als Mann verkleidet die Stadt verlässt, während er den Herzog durch einen gedungenen Mörder töten lässt.

Doch auch des Mörders Schwester war die Geliebte des Herzogs und ist ihm zugewandt. Sie überredet ihren Bruder, einen anderen an seiner Stelle zu töten und als Leiche in einem Sack zu präsentieren. Der Bruder folgt ihrem Vorschlag und ersticht anstelle des Frauenhelden die erste Person, die ihm begegnet: die in Männerkleidung getarnte Tochter Gilda. Rigoletto schaut in den Leichensack und entdeckt dort sein geliebtes Kind, das in einem musikalisch fulminanten Finale in seinen Armen stirbt.

Gekonnt kunstvolle Inszenierung mit verzeihbarer Schwäche

Axel Ranisch hat dieser Geschichte einen Erzählrahmen hinzugefügt. Seine Inszenierung beginnt in den Plattenbauten von Berlin. Dort sitzt in einer Wohnung ein einsamer und sehr trauriger Rigoletto-Fan mit Namen Hugo. Er wird auf bühnenbreiter Leinwand gezeigt, wie er in einer tristen, engen Wohnung eine Rigoletto-Videokassette in den Rekorder steckt und seine Herzensoper startet. Während auf dem Fernsehen die Oper beginnt (tatsächlich wird über eine Kamera der Auftritt des Dirigenten gezeigt), greift Hugo zum Revolver, um Selbstmord zu begehen.

Danach wechselt die Szene auf die eigentliche Bühne, die ebenfalls ein Berlin der 80er-Jahre zeigt: Dunkle verkleinerte Hochhaus-Bauten, Punks und wilde Rocker füllen die Bühne. Der Graf gibt eine Party, und es wird wild getanzt und gefeiert. Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Parallel erscheint in einem offenen Raum Hugo auf seinem Sofa. Er scheint in die Handlung geworfen zu sein und mäandert während der gesamten Aufführung über die Bühne. Wie ein Geist, der von den anderen zwar wahrgenommen, aber nicht eigentlich gesehen wird, versucht er, das Schlimmste zu verhindern, was ihm aber nicht gelingt.

Während Rigoletto seinem grauenvollen Schicksal entgegenläuft, wird über zwischenzeitlich herabgelassene Leinwände das Leben von Hugo erzählt. Beide haben eine ähnliche Geschichte: Sie sind alleinerziehend und versuchen mit allen Mitteln ihre Töchter zu beschützen, die sich der Enge ihrer Obhut entziehen. Bei Rigoletto endet dies mit dem Tod der Tochter, bei Hugo mit dem eigenen Selbstmord.

Eine tolle szenische Idee, da durch diese Rahmenhandlung auch Rigoletto vielschichtiger und „tiefer“ erscheint und die Motive seiner Handlungen klarer werden. Alle Figuren in Verdis Oper wirken emotionaler, indem sie um diese filmische Parallelgeschichte ergänzt werden.

Allerdings haben für uns einige der Filmszenen das Geschehen auf der Bühne fast zu stark überlagert. Vor allem die Episode, in der erzählt wird, wie Hugo seine Frau bei der Geburt der Tochter verlor, wird auf so großer Leinwand gezeigt, dass das wunderschöne und anrührende Duo von Rigoletto und Gilda auf der Bühne in den Schatten gerät. Insgesamt hat uns aber die Idee dieses „Medienmixes“ sehr gut gefallen.

Starke Stimmen und ein herausragendes Orchester

Abgesehen von der Inszenierung haben aber auch Sänger*innen und Orchester ungeheuer begeistert. Selten habe ich so gut besetzte und stimmgewaltige Hauptdarstellerinnen und -darsteller erlebt. Verdis Musik ist grandios, das Orchester trug dem Rechnung. Der Chor war einfach großartig und die Hauptstimmen trafen direkt ins Herz.

Besonders nahe ging mir Gilda, gespielt von Nina Minasyan. Sie hat einen glockenklaren Sopran, ihre Ausstrahlung ist unglaublich und man konnte sich der Emotion, die sie ausstrahlte, nicht entziehen. Nicht weniger eindrucksvoll aber auch Rigoletto (Dalibor Jenis). Ein gewaltiger Kerl mit gewaltiger Stimme. Toll! Und in gleicher Qualität die dritte Figur: der Graf von Monterone, gesungen und gespielt von Roman Chabaranok. Er überzeugte als den Frauen verfallener Gigolo, der sich bei all seinen Seitensprüngen ganz und gar unschuldig fühlt, da er „nicht anders kann“. Auch er ideal besetzt und mit einer wunderbaren Stimme.

Allen Darstellern und der Inszenierung gelang es, sowohl Witz und Humor als auch Tragik und Gefühl in diese zwei Stunden zu packen. Die Zeit verging im Flug und man fühlte sich wie auf einer emotionalen Achterbahn. Der donnernde Applaus am Ende war durchaus begründet: Es war ein besonderer Abend!

Es lohnt, dafür eine Reise in die wunderbare Stadt Lyon zu machen! Die Aufführung kann noch bis zum 7. April besucht werden.

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