„Lohengrin“ am theaterhagen: Einige Schwächen, aber insgesamt gelungene Premiere

Von |2024-02-26T13:44:43+01:0026.02.2024|Allgemein, Oper|

Ja, ich gebe zu, ich bin ganz schön oft in Hagen. Der Grund ist, dass eine gute Freundin von mir ein großer Fan dieses Theaters ist und dort ein Abo hat. Also bin ich auch dieses Wochenende mit ihr in die kleine Stadt am Rande des Ruhrgebietes gefahren. Diesmal sind wir bei der Premiere der Oper „Lohengrin“ von Richard Wagner. Ich bin sehr gespannt, denn diese Oper habe ich noch nie gesehen und meine Wagner-Erfahrungen sind ja – wie an anderer Stelle schon erzählt – eher begrenzt. Außerdem bin ich natürlich ein wenig auf dem „Wagner-Trip“, nachdem ich bei meiner Reise nach Bayreuth so viel Spannendes über den Komponisten erfahren habe. Und wieder mal muss ich sagen: Der Besuch des theaterhagen hat sich gelohnt. Es war ein schöner und kurzweiliger Abend.

Besonderes Werk mit wunderschöner Musik

„Lohengrin“ ist ein besonderes Werk, da Wagner mit dieser Oper seine neue Opernform begründete. Anders als die Komponisten vorher komponiert er nicht einzelne Abschnitte (Nummern) mit Rezitativen, Chorstücken und Arien, sondern ein durchgehendes Musikdrama. Das macht Wagners besondere Wirkung aus meiner Sicht aus, denn auf diese Weise zieht er das Publikum musikalisch sehr stark in seinen Bann – zumindest im Falle von „Lohengrin“.

Die Sage der Gralsritter wird erzählt

Die Geschichte basiert – wie fast immer bei Wagner – auf den deutschen Heldensagen: Es geht um den Gralsritter Lohengrin, Sohn des Parzival, der auf einem Schwan der Fürstin von Brabant zur Hilfe entsandt wird.

Nachdem der Fürst von Brabant verstorben ist, wachsen seine Kinder Elsa und Gottfried bei einem Vertrauten des Vaters, Friedrich von Telramund, auf. Eines Tages verschwindet Gottfried bei einem Spaziergang der Geschwister im Wald. Telramund beschuldigt Elsa, ihren Bruder getötet zu haben und wendet sich von ihr ab. Er hatte sie eigentlich zur Braut nehmen wollen, heiratet aber stattdessen Ortrud, die sich bald als die Böse der Geschichte erweist.

Ein Zweikampf soll entscheiden, ob Elsa schuldig oder unschuldig ist. Elsa muss in diesem Kampf von einem Ritter vertreten werden, und tatsächlich erscheint ein edler Schwertträger auf einem Schwan, der für Elsa gegen Telramund antritt. Der Ritter gewinnt den Zweikampf und damit auch Elsas Hand. Seine Bedingung ist allerdings, dass Elsa niemals nach seinem Namen fragen darf.

Von Ortrud ins Zweifeln gebracht, bricht Elsa ihren Schwur und will von ihrem Ritter wissen, wer er sei. Daraufhin muss dieser sein Geheimnis lüften: Er ist der Gralsritter Lohengrin und gesandt, um Elsa zu helfen. Einmal erkannt, darf er allerdings nicht bleiben, sondern muss zurück zum heiligen Gral. Bevor er Elsa verlässt, entzaubert er noch den Schwan, auf dem er anreiste: Es ist Gottfried, der von Ortrud verwandelt wurde.

Lohengrin-Besetzung: Insu Hwang, Tobias Haaks, Dorothea Herbert

©Theater Hagen

Vier anspruchsvolle Stunden mit viel Pathos und Drama

Die Oper wird in drei Akten erzählt und dauert ca. 3,5 Stunden mit zwei Pausen. Es ist eine wuchtige, sicher für alle Beteiligten auf der Bühne sehr anstrengende, aber auch temporeiche und spannende Oper, so dass wir uns in keiner Weise langweilen. Das theaterhagen bringt eine ordentliche Premiere auf die Bühne, allerdings merkt man, dass einige im Ensemble bei dieser anspruchsvollen Oper an ihre gesanglichen Grenzen stoßen. Dennoch: Wir verbringen einen schönen Abend und das Publikum, das sein theaterhagen liebt, reagiert mit stehendem Applaus.

Lohengrin und Elsa glänzen gesanglich

Inszeniert wird „Lohengrin“ von Nelly Danker. Sie entscheidet sich dafür, alle Figuren in den Kostümen verschiedener Vögel auftreten zu lassen. So ist Lohengrin ein Pfau, Elsa ein Schwan, ihre Kontrahentin Ortrud ist als Goldfasan kostümiert. Das passt ganz gut zu dem mystischen und sagenhaften Rahmen der Geschichte, wirkt aber dennoch ein wenig bemüht und uninspiriert. Immerhin: Das Bühnengeschehen wird dadurch sehr bunt und ist nett anzusehen.

Sehr gut besetzt sind die zwei Hauptrollen Lohengrin (Tobias Haaks) und Elsa (Dorothea Herbert). Beide haben unglaublich gewaltige und schöne Stimmen und spielen ihre Rollen sehr überzeugend. Nicht so gelungen wie sonst (zum Beispiel erst kürzlich im „Freischütz“) erscheint mir dagegen der Part von Insu Hwang, der den Telramund singt. Obwohl er mich sonst immer überzeugt hat, finde ich ihn an diesem Abend eher blass. Seine „Bühnen-Gemahlin“ Ortrud, gesungen von Angela Davis dagegen, füllt ihre Rolle sehr gut aus. Regelrecht deplatziert wirkt für mich Kenneth Mattice, der den Heerrufer des Königs spielt, und dessen Stimme der Rolle so gar nicht gewachsen scheint.

Dorothea Herbert in der Rolle der Elsa von Brabant

©Theater Hagen

Allerdings muss man sagen, dass das Orchester extrem „Gas gibt“ und mit viel Tempo und Begeisterung die wuchtigen Wagner-Melodien zum Besten gibt. Es spielt sehr toll, aber auch sehr laut. Es ist für Sänger*innen und Chor oft eine große Herausforderung, „gegen das Orchester anzusingen“. Vielleicht hätte Dirigent Joseph Trafton an der ein oder anderen Stelle die Instrumente zugunsten der Sängerinnen und Sänger etwas mehr zurücknehmen sollen. Aber ich bin zu sehr Laie, um das zu beurteilen.

Wie gesagt: Die Aufführung hat aus meiner Sicht einige Schwächen, ist aber dennoch eine gelungene Premiere. Obwohl die Herausforderung spürbar ist, hat sich theaterhagen unterm Strich an „ihrem Wagner“ nicht verhoben. Wir hatten jedenfalls wieder einmal sehr viel Spaß!

 


Foto Header: ©2023 – Theater Hagen gGmbH

„Der Freischütz“ in gelungener Häschenschul-Inszenierung

Von |2024-02-16T11:54:26+01:0022.01.2024|Allgemein, Oper|

Am Freitagabend stand mal wieder ein Besuch im Hagener Theater an. Auf dem Programm: die Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Es war wie beinahe jedes Mal, wenn ich dort bin: Das Schauspielhaus überzeugt mit einer kurzweiligen, ideenreichen, aber nicht zu „abgedrehten“ Inszenierung. Engagierte Musiker*innen und Sänger*innen sorgen für einen rundum gelungenen und unterhaltsamen Opernabend.

„Der Freischütz“: Viel Romantik und sehr „deutsch“

Die im Juni 1821 uraufgeführte romantische Oper hat eine fast schon rührselige, märchenhafte Handlung, die in einem romantisch-idealisierten Jagdmilieu spielt.

Die Geschichte dreht sich um den Jäger Max, der den Wunsch hegt, Agathe, die Tochter des Erbförsters, zu ehelichen. Durch diese Heirat würde er in die Rolle des künftigen Försters aufrücken.  Die Hochzeit wird jedoch nur möglich, wenn Max den sogenannten Probeschuss besteht – ein Brauch, den der Landesfürst eingeführt hat. Nur wer trifft, darf nächster Erbförster werden und die Tochter des bestehenden Amtsinhabers heiraten.

Max ist voller Sorge, ob ihm der Probeschuss gelingt. Am Vortag beim Schützenfest hat er das Ziel verfehlt. Er wird von seinem vermeintlichen Gefährten Kaspar, der ebenfalls um Agathes Gunst geworben hatte und abgewiesen wurde, dazu verleitet, sich mit „Freikugeln“ auszustatten. Diese sind mit schwarzer Magie gegossen. Von insgesamt sieben Kugeln treffen sechs das gewählte Ziel. Die siebente „gehört dem Teufel“ und wird von ihm gelenkt. Kaspar sucht nach Rache für seine Zurückweisung und so handelt er mit dem Teufel aus, dass die letzte Kugel Agathe treffen soll.

Begleitet von Agathes düsteren Ahnungen begibt sich Max zusammen mit dem Fürsten auf die Jagd. Dort verschießt er drei der Freikugeln, drei weitere hat Kaspar behalten und ebenfalls verschossen. Nicht wissend, dass es die letzte Kugel ist, zielt Max bei seinem Probeschuss auf eine Taube. Agathe möchte ihn aufhalten, doch sie kommt zu spät und sinkt – wie getroffen – zu Boden.

Als sich die Aufregung legt, erkennen die Umstehenden, dass Agathe lebt. Der heilige Eremit des Waldes ist erschienen, er hat die Kugel umgeleitet und stattdessen Kaspar getroffen. Der Fürst erfährt von den Freikugeln und ist entsetzt. Er will Max verbannen und die Heirat verbieten. Doch der Eremit überzeugt ihn, dass Max aus Liebe und Verzweiflung gehandelt hat. Er bittet den Fürsten, den Probeschuss abzuschaffen und Max als Förster einzusetzen. Bewährt er sich, soll er nach Ablauf eines Jahres Agathe heiraten dürfen. Der Fürst ist einverstanden.

 

Das Motiv der „Häschen-Schule“ sorgt für Ironie

In der Inszenierung von Francis Hüsers wird das Geschehen in die Häschen-Schule aus dem bekannten Bilderbuch der 1920er-Jahre verlegt. Für mich ein sehr wirkungsvoller und gelungener Einfall, um das Naiv-kindliche und Biedere der Geschichte einzufangen und gleichzeitig ironisch zu brechen.

Alle Darstellenden haben Häschen-Ohren und ein Hasen-Schwänzchen, alle tragen lustige bunten Hosen und Hemden. Die Kulisse zeigt einen romantischen Wald und darin das Klassenzimmer der Häschen-Schule. Mit viel Witz und Dynamik wird vor diesem Hintergrund die Geschichte von Max und seinen moralischen Verirrungen erzählt.

Durch das Einbrechen des Bösen gerät die heile Welt der „Häschen“ in Schieflage: Während Max die Kugeln gießt, bricht die Bühnenkulisse in sich zusammen, geraten die Kostüme der Darstellenden immer mehr in Unordnung und sogar einige Häschen-Ohren knicken ab oder brechen gar ganz. Das macht den Figuren allerdings nur wenig aus, am Ende siegt das Gute und das Gottvertrauen.

 

Engagiertes Ensemble und eindrucksvolle Stimmen

Neben der einfallsreichen Inszenierung haben auch die Spielfreude und das Engagement des Ensembles dafür gesorgt, dass mich die Vorstellung von Anfang bis Ende „gepackt“ hat. Vor allem der hauseigene Chor, aber auch das Orchester und die Sänger*innen sind während der fast dreistündigen Oper mit großem Einsatz dabei.

Sehr gelungen war für mich auch die Besetzung: Der Tenor Alexander Geller spielt einen wunderbaren Max, hilflos und kindlich, verzweifelt und verliebt. Auch gesanglich ist er mitreißend und überzeugend. Sein „Verführer“, der „böse“ Kaspar, ist ebenfalls treffend besetzt: Insu Hwang setzt mit seinem tollen Bariton einen dämonischen Gegenpart zur heimeligen Häschen-Idylle.

Gut gefallen haben mir außerdem die Frauen-Rollen: Dorothea Brandt als Agathes treue Freundin Ännchen strahlt Optimismus und Lebensfreude aus und passt sich wunderbar in das Bild der Häschen-Schule ein. Agathe als ernste und von dunklen Vorahnungen geplagte Braut wird gesungen von Angela Davis – und das für meine Ohren mit viel gesanglichem Können.

Insgesamt sind sämtliche Rollen gut und passend besetzt. „Der Freischütz“ im Theater Hagen ist für mich eine stimmige und gelungene Inszenierung. Dies scheinen alle an diesem Abend so zu erleben, denn die Vorstellung erhält Standing Ovations vom Publikum.


Wer sich den Freischütz im Theater Hagen anschauen mag, muss schnell sein. Die vorerst letzte Vorstellung gibt es am 27. Januar 2024.


Titelbild: Kenneth Mattice, Oliver Weidinger, Dorothea Brandt, Angela Davis, Alexander Geller, Chor und Extrachor des Theaters Hagen. © Theater Hagen

Eine Oper wie ein Italo-Western: Spannend und imposant

Von |2023-01-24T16:43:25+01:0024.01.2023|Oper|

Gelungene Inszenierung von Puccinis „La Fanciulla del West“ in Hagen

Dreckige Männer bei der Goldsuche, ein Saloon, waffentragende Sheriffs – ein überraschendes Sujet für eine Oper, zumindest für mich. Giacomo Puccini hat mit „La Fanciulla del West“ (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) eine besondere Oper geschaffen, die eine emotionale Geschichte an einem außergewöhnlichen Ort erzählt. Ihre „Story“ ist spannend wie ein Western, sie ist musikalisch und stimmlich gewaltig, dabei hoch emotional und sensibel. Ein wunderbares Werk!

 

Wenig bekannte Oper handelt von Goldgräbern

Die wenig bekannte Oper handelt von der jungen Minnie, die als einzige Frau am Rande eines Goldgräberlagers einen Saloon betreibt. Sie ist umgeben von frustrierten, gescheiterten Männer-Existenzen, die in ihr den einzigen Lichtblick sehen. Minnie kümmert sich engelsgleich um die Sorgen und Nöte der Goldgräber, weist ihre Annäherungsversuche allerdings kategorisch ab. Besonders aufdringlich ist Sheriff Jack Rance, der Minnie unbedingt „haben“ möchte.

Eines Tages kommt ein Fremder, der sich Johnson nennt, ins Goldgräber-Lager. Minnie und Johnson verlieben sich. Sie erfährt erst später, dass es sich um den Straßenräuber Ramerrez handelt, der die Postwege unsicher macht und von der Postkutschenlinie Wells Fargo und dem Sheriff gesucht wird. Nach einem Besuch in Minnies Hütte wird Johnson/Ramerrez angeschossen und obwohl Minnie über die Entdeckung seiner Identität entsetzt ist, hilft sie ihm. Sie versteckt ihn in ihrer Hütte.

Männer im Bühnenbild der Oper Puccini im Theaterhagen

Foto: Theaterhagen

 

Emotionale Liebesgeschichte mit bombastischer Musik

Als Sheriff Rance ihn dort findet, überredet Minnie den Gesetzeshüter, mit einer Partie Poker um das Leben von Johnson zu spielen. Sie gewinnt durch Betrug und kann Johnson retten. Eine Woche später lauert Sheriff Rance dem Räuber erneut auf und nimmt ihn fest. Er soll gelyncht werden. Minnie kann dies in letzter Minute verhindern, indem sie an die Goldgräber appelliert und ihnen vor Augen führt, was sie alles für sie getan hat. Sie lassen von Johnson ab und Minnie verlässt das Lager gemeinsam mit ihrem Geliebten. Die verzweifelten Goldgräber bleiben allein zurück.

Puccini vertont diese Geschichte mit hoch emotionaler und dramatischer Musik. Sowohl das Orchester als auch der Gesang sind mitreißend angelegt und voller Gefühl. Stimmlich verlangt Puccini einiges, denn die Sängerinnen und Sänger müssen gegen das starke Orchester ansingen, teilweise fast schon anschreien.

Minnie und Johnsen in der Oper „La Fanciulla del West“ in Hagen

Foto: Theaterhagen

 

Perfekte Umsetzung im Theaterhagen

Das Theaterhagen setzt diese schwierige Anforderung in seiner Inszenierung hervorragend um. Das Orchester gibt vom ersten Ton an alles, es verzaubert das Publikum sofort und trägt mit Tempo und Dramatik durch die Handlung. Die Besetzung ist perfekt: Sopranistin Susanne Serfling singt sich im wahrsten Wortsinne die „Seele aus dem Leib“ und überzeugt stimmlich ebenso wie spielerisch. Sie ist eine grandiose Minnie, die für Gänsehaut-Momente sorgt. Ebenso stimmlich überzeugend ist James Lee als Räuber Ramerrez alias Johnson. Er schafft es mühelos, sich über das Orchester hinweg Gehör zu verschaffen. Sein Kontrahent, Sheriff Jack Rance, wird gesungen von Insu Hwang. Er spielt überzeugend den gefühllosen, vom Leben enttäuschten Sheriff, der Minnie in erster Linie besitzen will.

Auch das Bühnenbild und die Kostüme sind in der Hagener Inszenierung von „La Fanciulla del West“ gut gewählt. Alles ist schlammbraun und dreckig, der „goldene Westen“ ist ein durch Hitze und Schneestürme unwirtliches Land, das für die nach Glück und Reichtum suchenden Einwanderer zu einer Hölle wird. Sie sind gescheitert und desillusioniert, nur Minnie schafft es, ihnen mit ihrer Güte und Empathie in all dem Schlamm und Dreck noch Mut zu geben.

Bühnenbild des Theaterhagen mit Johnsen in Puccinis Oper „La Fanciulla del West“

Foto: Theaterhagen

 

Eine Reise nach Hagen lohnt sich

Das Theaterhagen ist für mich eine Art „Geheimtipp“. Gemeinsam mit meiner Freundin fahre ich immer wieder gern in dieses vergleichsweise kleine Haus. Es überrascht fast jedes Mal mit tollen Inszenierungen und einer besonderen Werk-Auswahl. Auch die Puccini-Oper „La Fanciulla del West“ war in jeder Hinsicht eine Überraschung: Ich kannte die Oper vorher nicht und hätte nicht erwartet, dass Hagen diese anspruchsvolle Oper so überragend umsetzt. Ein wirklich gelungener Opernabend!

Wer sich die Inszenierung nicht entgehen lassen will – zwei weitere Vorstellungen von „La Fanciulla del West“ im Theaterhagen finden am 09. Februar und 11. März 2023 statt.

Il turco in Italia – Eine verrückte Oper verrückt inszeniert

Von |2022-05-11T14:27:29+02:0019.03.2019|Oper|

Rossinis komische Oper »Il turco in Italia« war mir bisher nicht bekannt. Als ich über ihre Inszenierung im Theater Hagen erfuhr, habe ich spontan entschlossen, mir das Werk anzusehen.

Gioachino Rossini hat mit »Il turco in Italia« im Jahr 1814 eine Oper auf die Bühne gebracht, die durch ihre Erzählform sehr modern wirkt: In einer Simultanhandlung wird die Geschichte eines Dichters erzählt, der auf der Suche nach einem Komödienstoff die Liebesbeziehungen um ihn herum beobachtet und diese auch teilweise in seinem Sinne manipuliert. Im Mittelpunkt seiner Beobachtungen steht sein Freund Don Geronio, der von seiner höchst exzentrischen Gemahlin Donna Fiorilla betrogen wird. Fiorilla hat bereits einen Geliebten und verliebt sich erneut, als sie auf einen Türken trifft, der Italien bereist. Dieser wiederum fängt mit ihr zwar eine leidenschaftliche Affäre an, trifft dann aber auf eine ehemalige Geliebte (Zaida) und wird auch ihr gegenüber schwach. In einem großen Finale, das der Autor inszeniert, werden die Verwicklungen schließlich aufgelöst und die Ehefrau kehrt reuevoll zu ihrem Mann zurück. Die erzählte Geschichte klingt wunderbar überdreht, und ich war gespannt, wie Opernregisseur Christian von Götz dieses wilde Beziehungschaos ins Bild setzt.

Ich nehme das Ergebnis mal vorweg: von Görz ist aus meiner Sicht eine Punktlandung gelungen. Die Inszenierung in Hagen hat mich von der ersten Sekunde an gepackt und begeistert. Sie wird der Oper in wunderbarer Weise gerecht und dreht die Komik der Handlung in stimmiger Weise noch ein ganzes Stück weiter, sodass man einen geradezu herrlich verrückten Abend erlebt.

Schon der Beginn ist äußerst gut gewählt: Der Dichter Prosdocimo ist in der Hagener Inszenierung ein Filmemacher zur Stummfilmzeit. Er führt auf großer Leinwand seinem Produzenten ein Werk vor, bei dem die Handlung von »Il turco in Italia« aufgegriffen, aber in einem dramatischen Finale mit Mord und Totschlag beendet wird. Der Produzent ist unzufrieden, und so geht Prosdocimo auf die Suche nach einer anderen Geschichte, die weniger deprimierend endet.

Das gewählte Bühnenbild, das sich zeigt, nachdem die Filmleinwand verschwunden ist, ist ebenso einfach, wie gelungen: Ein großer ovaler Rahmen dominiert die Bühne, welcher zwei Eingänge hat und den hinteren vom vorderen Bühnenteil trennt. Dieser schlichte Rahmen bietet Platz für eine rasante und bunte Inszenierung, bei der vollständig auf die handelnden Personen und ihre Rollen fokussiert wird. So tritt die liebeshungrige Donna Fiorilla in einem sehr freizügigen Varietékostüm in einer rosa Kiste auf, in die sie dann auch gleich ihre »türkische Eroberung« lockt. Der Ehemann dagegen trägt ein clowneskes Kostüm mit übergroßer Fliege und schwingt jedes Mal wie ein verunglückter Tarzan an einem Seil über den Hintergrund des Bühnenbildes in die jeweilige Szene. Das alles wirkt bunt, ausgelassen und albern – passt aber aus meiner Sicht ideal zur Rossinis Oper und ihren Figuren.

Ebenfalls ein Treffer ist aus meiner Sicht die Besetzung: Mein absoluter Favorit des Abends war Donna Fiorilla, gespielt und gesungen von Marie-Pierre Roy. Aber auch die übrigen Darsteller – wie zum Beispiel Rainer Zaun als Ehemann Don Geronio oder Dong-Won Seo als Türke Selim – haben ihre Rollen wunderbar gespielt. Sie zeigen sowohl stimmlich als auch körperlich vollen Einsatz, wenn sie etwa sackhüpfend über die Bühne springen oder eine Schlägerei vortäuschend zu Boden gehen.

Durch die turbulente und aktionsreiche Erzählweise erlebt man Rossinis Oper als sehr kurzweilig. Die 2 Stunden 45 Minuten dauernde Vorstellung vergeht wie im Flug.

Alles in allem kann ich sagen: Wieder einmal hat sich der Besuch am Theater Hagen mehr als gelohnt. Ein großes Lob an Christian von Götz für diese ideenreiche und bunte Inszenierung.


Weitere Spieltermine:

  • 20. & 31. März 2019
  • 24. April 2019
  • 19. Mai 2019
  • 1., 7., 19. & 30. Juni 2019

Foto: Dong-Won Seo (Selim), Marilyn Bennett (Zaida). Fotograf: Klaus Lefebvre. © Theater Hagen

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