Premiere von „Wozzeck“ in Essen: Der Wahnsinn als Leitmotiv
Am Wochenende stand ein Besuch im Aalto Theater in Essen auf dem Programm, es ist Premiere der Oper „Wozzeck“ (Woyzeck) von Alban Berg. Ich mache mich auf einen schwierigen Opernabend gefasst, da sowohl das Stück „Woyzeck“ als auch die Musik von Alban Berg zumindest für mich nicht gerade leichte Kost darstellen. Da ich die Oper nicht kenne, bin ich gespannt, wie Alban Berg die Geschichte des Anti-Helden Woyzeck auf die Bühne bringt. Tatsächlich passen Alban Berg und „Wozzeck“ ganz prima zusammen und ich erlebe einen spannenden und beeindruckenden Opernabend.
Wozzeck / Woyzeck: der ewige Anti-Held
Kurz zur Handlung: Alban Berg setzt in seiner Oper – sehr gekonnt wie ich finde – das Stück „Woyzeck“ von Georg Büchner um. Im Mittelpunkt des Dramenfragments steht der arme, verzweifelte Soldat Woyzeck, der in den gesellschaftlich unruhigen Zeiten der 1830er-Jahre durch seine aussichtslose Stellung in der Gesellschaft mehr und mehr dem Wahnsinn verfällt. Er wird von seinem Vorgesetzen erniedrigt und es gelingt ihm kaum, den Lebensunterhalt für sein uneheliches Kind und dessen Mutter Marie zu verdienen. Um sein Einkommen aufzubessern, stellt er sich für die Forschungsstudien eines skrupellosen Arztes zur Verfügung, der ihn durch eine Erbsendiät psychisch und physisch ruiniert. Als Woyzeck erfährt, dass Marie ihn betrügt, verliert er seinen Verstand vollständig und ersticht sie in geistiger Verwirrung.
Der Komponist Alban Berg hatte Büchners Drama 1914 im Theater gesehen und beschlossen, dazu eine Oper zu komponieren. Sie wurde 1921 fertiggestellt und umfasst drei Akte und 15 Szenen. Mit seiner atonalen, expressionistischen Komposition unterstreicht Alban Berg die starke Emotionalität des Dramas und die tiefe Zerrissenheit der Hauptfigur in genialer Weise.
Wahnsinniger Bilderrausch spiegelt den Irrsinn des Wozzeck
In Essen wird die Oper von Martin G. Berger inszeniert. Ihm und dem Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl gebührt besonderes Lob. Mit einer für mich sehr stimmigen Dramaturgie, viel Bühnentechnik und einer imposanten Licht-Installation verwandeln sie die Oper von Alban Berg in einen wahnsinnigen und kurzweiligen Bilderrausch, der wunderbar sowohl zu der Geschichte als auch zur Musik passt. Es werden alle technischen Register gezogen, die die Bühne hergibt, und dennoch wirken die Effekte – auch wenn es viele sind – insgesamt nicht übertrieben oder überladen. Im Gegenteil: Sie helfen mir, die Widersprüchlichkeit und den Irrsinn in Wozzecks Gedanken zu verstehen und seiner Perspektive zu folgen.
Die Verrücktheit des Protagonisten Wozzeck (Woyzeck) wird zum Leitmotiv der Inszenierung in Essen. Sein Verfall in den Wahnsinn wird schon in der ersten Szene symbolisiert von drei Narren, die Wozzeck in seinem Wohnzimmer heimsuchen und ihn bedrängen. Er verliert mehr und mehr den Bezug zur Realität, hat Wahnvorstellungen und kann sich seiner Umwelt in seiner wirren Gedankenwelt nicht verständlich machen. Dadurch wird er immer stärker isoliert. Nur die Narren verstehen ihn und warnen ihn: Einer wie er würde entweder zum Narren oder zum Mörder.
Szenenbild Wozzeck © Matthias Jung
Ensemble Wozzeck © Matthias Jung
Alban Bergs atonale Musik fordert das ganze Ensemble
Alban Berg hat die Geschichte des armen Soldaten Wozzeck mit seiner atonalen Musik stringent und mit viel Tiefgang vertont. Auch seine Musik hat – zumindest für mich als ungeübte Hörerin – viele wahnsinnige und verrückte Züge. Dirigent Roland Kluttig führt sein Orchester souverän durch die Berg- und Talfahrten der Komposition, mal mit leisen Tönen, mal mit voller Wucht.
Auch die Sängerinnen und Sänger sind extrem gefordert, denn auch sie müssen – so scheint es mir zumindest – stimmlich über die Grenzen des „Normalen“ gehen. Vor allem die Besetzung Titelfigur, Heiko Trinsinger, leistet harte Arbeit in diesen knapp zwei Stunden. Er singt und spielt Wozzeck mit großem Engagement und ist in seiner Zerrissenheit für mich sehr überzeugend. Seine Gesangsleistung ist für meine Ohren grandios. Ebenso gut besetzt ist Deirdre Angenent als Marie, Torsten Hofmann als vorgesetzter Hauptmann und als Arzt Sebastian Pilgrim. Letztere spielen ihre Rollen mit viel Witz und Souveränität. Auch das restliche Ensemble ist gut besetzt und überzeugt an diesem Abend.
Die zweistündige Aufführung hat alles in allem ein enormes Tempo und führt das Publikum rasant einerseits durch den tristen Alltag des ständig nervösen Wozzeck, andererseits durch den rasanten Wechsel der Wahnbilder, die den Protagonisten mehr und mehr im Griff haben.
Szenenbild Wozzeck © Matthias Jung
Albtraumhafter, aber tief beeindruckender Opernabend
Es ist ein albtraumhafter Abend, der sicher nicht als leicht und unterhaltsam klassifiziert werden kann, dennoch aber zutiefst beeindruckt. Getrübt wird der Operngenuss allerdings für mich dadurch, dass es keine Pause gibt. Da ich Neue Musik nicht gewöhnt bin, habe ich die Aufführung als wirklich anstrengend erlebt. Ich hätte sehr gut nach der Hälfte eine Pause brauchen können, um durchzuatmen, aber die ist vom Komponisten wohl nicht vorgesehen.
Wer Mut hat, für einen zwar anstrengenden, aber dennoch lohnenden Opernabend, dem kann ich „Wozzeck“ in Essen nur empfehlen.
Die nächsten Vorstellungen: 31. Mai; 6., 23., 27. Juni; 6. Juli; Wiederaufnahme in der kommenden Spielzeit ab 21. September.
Headerfoto: Heiko Trinsinger (Wozzeck). © Matthias Jung